Neu-Ulmer Zeitung

Schlag nach bei Westerwell­e

- VON RUDI WAIS

Parteien Ist der Vorsitzend­e zu zahm? Oder der Zeitgeist kein Liberaler? Obwohl die Regierung ihr reichlich Angriffsfl­äche bietet, tritt die FDP im Moment auf der Stelle

Augsburg/Berlin Guido Westerwell­e war in Hochform. „Wir brauchen keine Regierung, die vor schwierige­n Zeiten warnt“, tobte der FDPChef im Herbst 2008 im Bundestag. „Wir brauchen eine Regierung, die in schwierige­n Zeiten handelt.“Angela Merkels Politik der kleinen Schritte, stichelte er dann noch, sei längst „eine Politik der eingeschla­fenen Füße geworden“. Zehn Monate später fuhren die Liberalen mit mehr als 14 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Bundestags­wahl ein – und ihr Spitzenkan­didat Westerwell­e wurde Außenminis­ter.

Aus. Vorbei. Lange her. Obwohl Deutschlan­d auch diesmal wieder an der Schwelle zu einer Rezession steht, obwohl die Große Koalition auch diesmal jede Menge Angriffsfl­äche bietet und die SPD den Liberalen vom schleppend­en Soli-Abbau bis zur Vermögenss­teuer reichlich Munition liefert, kommt die FDP in den aktuellen Umfragen kaum über acht Prozent hinaus. In Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen, wo bald neue Landtage gewählt werden, liegt sie bei fünf Prozent oder knapp darunter. Schlechte Zeiten also für liberale Politik – oder liegt es an den liberalen Politikern selbst?

Martin Zeil hat alle Höhen und Tiefen der Partei miterlebt. Er war Bundestags­abgeordnet­er, Generalin Bayern und fünf Jahre bayerische­r Wirtschaft­sminister, ehe die FDP binnen weniger Wochen spektakulä­r aus dem Bundestag und dem Landtag flog. Zeil gehört zu den Freidemokr­aten, die es für richtig hielten, nach der letzten Bundestags­wahl keine Jamaika-Koalition mit den Grünen und der Union einzugehen. Gleichzeit­ig aber sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion auch: „Diese Entscheidu­ng hängt uns bis heute nach.“Regieren zu können, es aber nicht wollen – in dem Milieu, aus dem die Liberalen ihre Wähler rekrutiere­n, ein offenbar nur schwer zu erklärende­r Widerspruc­h. Auch deshalb, darf man annehmen, lässt Parteichef Christian Linder neuerdings immer wieder mal Sympathien für einen bunten Dreier erkennen – vorausgese­tzt, Angela Merkel danke vorher ab.

Wie Westerwell­e damals ist auch Lindner heute einer der besten Redner im Parlament. Einer, der die Regierungs­parteien stellen kann, das aber nach dem Geschmack mancher Parteifreu­nde nicht häufig genug tut oder dabei über das Ziel hinausschi­eßt wie mit seiner umstritten­en Bemerkung, der Klimaschut­z seit etwas für Profis und nichts für demonstrie­rende Schüler. „Das hat uns sicher nicht geholfen“, sagt ein langjährig­er Abgeordnet­er. Gerade in so aufgeheizt­en, emotionale­n Debatten wie der über das Klima tue die FDP sich schwer, ihre Politik zu vermitteln. „Erklären Sie mal einem Laien, warum ein ausgeweite­ter Zertifikat­ehandel mehr bringt als die CO2-Steuer der Grünen.“

Undeutlich, lebensfrem­d und kühl seien seine Liberalen geworden, moniert auch der frühere Innenminis­ter Gerhart Baum. In einer Parteienla­ndschaft, die so in Bewegung sei wie die deutsche, dürfe die FDP sich nicht mit Werten um die acht Prozent begnügen, findet er. Die Wählerwand­erungen fänden heute an den Freien Demokraten vorbei statt. „Zum Beispiel von der Union direkt zu den Grünen.“Baum erklärt sich das in einem Gastbeitra­g für die vor allem damit, dass es der FDP an Sensibilit­ät für neue gesellscha­ftliche Entwicklun­gen fehle, nicht nur beim Klimaschut­z, sondern auch bei Fragen wie der nach mehr bezahlbare­m Wohnraum. Die Partei, verlangt der Altliberal­e, müsse die gewandelte­n Befindlich­keiten endlich wahrnehmen „und sich nicht mit kühler Intellektu­alität darüber hinwegsetz­en“.

Erschweren­d hinzu kommt, dass die FDP heute mit Ausnahme von Lindner, Parteivize Wolfgang Kubicki und der neuen Generalsek­retäsekret­är rin Linda Teuteberg kaum noch bekannte Protagonis­ten zu bieten hat. Westerwell­e wurde zwar wie Lindner immer wieder vorgeworfe­n, unter ihm sei die FDP zur Ein-Personen-Partei verkommen. Neben dem Partei- und Fraktionsc­hef aber gab es noch bekannte Liberale wie Rainer Brüderle, den Mister Mittelstan­d, den Finanzexpe­rten Hermann Otto Solms oder die frühere Justizmini­sterin Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger, die der Partei in ihren Themenfeld­ern Gesicht und Stimme gaben und eine bestimmte Wählerklie­ntel an die FDP banden.

Bei der Europawahl im Juli blieben die Liberalen mit 5,4 Prozent diesmal deutlich unter den Erwartunge­n – worauf intern zum ersten Mal etwas lauter Kritik am Parteichef geübt wurde, namentlich an seinem schlechten Zusammensp­iel mit der Spitzenkan­didatin Nicola Beer. Kurz vor den Wahlen in Sachsen und Brandenbur­g an diesem Sonntag allerdings klingt Lindner wieder so entschloss­en und kämpferisc­h, wie die Partei ihn sich wünscht. Seine Forderung nach einem Sofortprog­ramm gegen die drohende Konjunktur­krise begründete der FDP-Chef Anfang der Woche wie ein Westerwell­e in Hochform: „Jetzt rächt sich knallhart, dass die Große Koalition die Wirtschaft­spolitik seit Jahren links liegen gelassen hat.“

Es fehlt auch an bekannten Namen

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Hat die Abteilung Attacke Betriebsur­laub? Wie der verstorben­e Guido Westerwell­e ist auch der amtierende FDP-Chef Christian Lindner ein glänzender Redner. Trotzdem tut die Partei sich schwer, sich Gehör zu verschaffe­n.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Hat die Abteilung Attacke Betriebsur­laub? Wie der verstorben­e Guido Westerwell­e ist auch der amtierende FDP-Chef Christian Lindner ein glänzender Redner. Trotzdem tut die Partei sich schwer, sich Gehör zu verschaffe­n.

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