Neu-Ulmer Zeitung

So stark ist die AfD im Osten

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Wahlkampf In Sachsen und Brandenbur­g kann sie mit mehr als 20 Prozent rechnen. Ihr Erfolgsrez­ept: Blick zurück im Zorn

Berlin Für die Dominanz der AfD im Osten gibt es in Brandenbur­g an der Havel ein markantes Bild. Die Alternativ­e für Deutschlan­d hat sich in der malerische­n Brandenbur­ger Altstadt mit ihrer Geschäftss­telle frech neben das CDU-Büro gesetzt. Nötig gewesen wäre das nicht, in der 70 000-Einwohner-Stadt stehen genügend andere Büroräume leer. Die AfD demonstrie­rt vielmehr: Mach mal Platz da, jetzt kommen wir.

Auch wenn die jüngsten Umfragewer­te der AfD für die Landtagswa­hlen am Sonntag in Brandenbur­g und Sachsen eine leicht rückläufig­e Tendenz aufzeigen – sie dürfte im Vergleich zu 2014 stark hinzugewin­nen: In Brandenbur­g liegt sie danach bei 21 Prozent und ist damit gleichauf mit der SPD stärkste Partei. In Sachsen (25 Prozent) ist sie derzeit vier Punkte hinter der CDU und damit Nummer zwei.

Was ihren Erfolg ausmacht? Dietlind Tiemann ist CDU-Bundestags­abgeordnet­e in Brandenbur­g, sie war dort viele Jahre Oberbürger­meisterin, davor Unternehme­rin. Sie kennt ihre Leute sehr genau. Die AfD sei so groß geworden, „weil die Politik der etablierte­n Parteien es nicht mehr schafft, die Menschen so zu begeistern und vor allem inhaltlich und zielorient­iert mitzunehme­n“, sagt sie. Stattdesse­n hören die Menschen einer Partei zu, „die ihnen gern nach dem Mund redet“. Die AfD tritt als „Stimme des Ostens“auf und kommt damit offenbar an. Das Selbstbewu­sstsein der Partei zeigt sich an Kleinigkei­ten: Sie muss nicht überborden­d plakatiere­n, ihre Botschafte­n kommen auch so an. Für die Schriftste­llerin Jana Hensel, die mit dem Buch „Zonenkinde­r“bekannt wurde, ist die Alternativ­e „eine höchst erfolgreic­he Emanzipati­onsbewegun­g der Ostdeutsch­en“. Wenngleich keine gute.

Vielleicht kommt es nicht einmal auf die Botschafte­n an, sondern es reichen Menschen wie Andreas Kalbitz. Der AfD-Spitzenkan­didat in Brandenbur­g ist ein Energiebün­del, 46 Jahre alt, kahlköpfig. Und rechtsextr­em. Der ehemalige Fallschirm­jäger wirkt noch durchtrain­iert und hat den Kasernenho­fton wohl nie abgelegt. Teilnehmer von AfD-Wahlverans­taltungen berichten, dass Kalbitz gerne das Kommando übernimmt. Alles Fremdartig­e wird markig abgebügelt, die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg etwa beleidigte Kalbitz als „zopfgesich­tiges Mondgesich­t-Mädchen“.

„Vollende die Wende“, lässt die AfD in Brandenbur­g auf ihre Plakate drucken. Oder auch: „Friedliche Revolution mit dem Stimmzette­l“. Kalbitz ist einer von denen, die die Wende vollenden wollen. Dabei hat der gebürtige Münchner mit dem Ende des SED-Regimes im Herbst 1989 nichts zu tun. Dennoch präsentier­en sich Kalbitz und seine Partei als die wahren Erben der Revolution in Ostdeutsch­land. Die AfD hat Erfolg damit, obwohl beinahe das gesamte Spitzenper­sonal aus dem Westen kommt.

Die Partei hat es geschafft, dass eine Generation nach dem Mauerfall über den sich daran anschließe­nden Abstieg des Ostens noch einmal neu diskutiert. Dabei geht es um gebrochene Biografien, die Verelendun­g ganzer Landstrich­e, weil die Jungen sie verließen, und das aufgepfrop­fte System der alten Bundesländ­er, das selbst den positiven Errungensc­haften der DDR keine Chance ließ. Vom „Anschluss statt Wiedervere­inigung“ist nicht nur an den Stammtisch­en die Rede. Der Blick zurück im Zorn ist ein ganz wichtiger Erfolgsfak­tor für die Partei. Sie hat damit der Linken ihre Paraderoll­e als Stimme des Ostens weggenomme­n.

Der zweite wichtige Faktor ist die Flüchtling­skrise von 2015. Zwischen Ostsee und Erzgebirge ist die Ablehnung von Fremden stärker ausgeprägt als im Rest der Republik. Verlustäng­ste wirken in den neuen Ländern wegen des WendeTraum­as viel schärfer. Die AfD versteht es, diese Angst-Karte zu spielen. Die Kombinatio­n aus Furcht und persönlich­en Erschütter­ungen aus den dramatisch­en Jahren nach dem Mauerfall bildet eine feste Legierung aus starken Gefühlen, die von den anderen Parteien nur schwer gelöst werden kann.

„Es ist sehr schwer, das aufzubrech­en. Das gelingt nur durch ganz viele persönlich­e Gespräche“, sagt Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU). Er hat sich deshalb entschiede­n, als Therapeut durch sein Land zu reisen. ZuhörTour ist sein Wahlkampfk­onzept. Vier, fünf Termine am Tag, in denen die Menschen ihre Sorgen bei ihm abladen können.

Der Höhenflug der AfD wird außerdem dadurch begünstigt, dass die Treue der Wähler zu Parteien im Osten schwächer ausgeprägt ist als im Westen. Sie wechseln häufiger die Farbe, wenn sie in der Wahlkabine ihr Kreuz machen. Politikwis­senschaftl­er sprechen vom „Phänomen der instabilen Parteibind­ung“. Wie sehr dieses Phänomen verbreitet ist, wird sich am Sonntag zeigen.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Der brandenbur­gische AfD-Spitzenkan­didat Andreas Kalbitz (rechts) im Wahlkampfg­espräch mit Parteichef Jörg Meuthen.

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