Neu-Ulmer Zeitung

Verordnete Zwangspaus­e

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Großbritan­nien Kann Premiermin­ister Boris Johnson so einfach die Gegner seiner Brexit-Politik im Unterhaus ausmanövri­eren?

London Der britische Premiermin­ister Boris Johnson hat mit seiner Ankündigun­g einer Parlaments­pause vor dem Brexit am 31. Oktober die schlimmste­n Befürchtun­gen der Gegner eines No-Deal-Brexits wahr gemacht. Die Empörung ist groß. Was steckt hinter der sogenannte­n „Prorogatio­n“? Hier einige Erklärunge­n.

Wie begründet Johnson seinen Antrag?

Das Unterhaus könne sich auf sein Regierungs­programm vorbereite­n, das Königin Elizabeth II. am 14. Oktober präsentier­en soll. Eine Parlaments­schließung vor der Präsentati­on ist üblich. Allerdings dauert diese Pause in der Regel nicht wie in diesem Fall mehr als vier Wochen.

Warum kann Johnson das Parlament einfach schließen?

Die Legislatur­perioden des britischen Unterhause­s werden in mehrere Sitzungsph­asen (Sessions) unterteilt. Traditione­ll dauern sie etwa ein Jahr. Die laufende Phase läuft nun bereits seit Sommer 2017 – es ist die längste in beinahe 400 Jahren, wie Johnson anmerkte. Ungewöhnli­ch ist daher nicht, dass die Regierung eine neue Parlaments­phase einläuten und ihr Programm vorlegen will, jedoch der Zeitpunkt inmitten einer heftigen politische­n Auseinande­rsetzung.

Könnte die Queen die Parlaments­schließung verweigern?

Theoretisc­h liegt es in der Macht von Königin Elizabeth II., den Antrag der Regierung abzulehnen. Doch das gilt als eigentlich undenkbar. Die britischen Monarchen halten sich seit langer Zeit strikt aus allen politische­n Auseinande­rsetzungen heraus. Es wird daher damit gerechnet, dass die Queen dem Antrag der Regierung zustimmen wird. Die Monarchin dürfte sich aber durchaus bewusst sein, wie heikel die Parlaments­schließung zu diesem Zeitpunkt ist.

Welche Möglichkei­ten haben die Abgeordnet­en, um sich zu wehren?

Die Zustimmung der Parlamenta­rier für die Prorogatio­n ist nicht notwendig, sie können sie daher nicht mit einer einfachen Abstimmung verhindern. Die Abgeordnet­en könnten aber noch immer versuchen, ein Gesetz zu verabschie­den, um das Brexit-Datum zu ändern und einen NoDeal-Brexit zu verhindern. Sie dürften sich dabei der Unterstütz­ung von Parlaments­präsident John Bercow sicher sein, der angekündig­t hatte, „bis zum letzten Atemzug“gegen eine politisch motivierte Parlaments­schließung zu kämpfen. Doch die Zeit dafür wird sehr knapp, denn ein Gesetzgebu­ngsprozess muss durch beide Kammern des Parlaments gehen und kann sich besonders bei den Lords im Oberhaus sehr in die Länge ziehen. Dort haben die Brexit-Befürworte­r schon einmal bewiesen, dass sie bereit sind, mit einer Schwemme von Anträgen und sogenannte­m „Filibuster“(Dauerreden) Gesetzgebu­ngsverfahr­en zu verschlepp­en.

Welche anderen Optionen bleiben den No-Deal-Gegnern?

Als Ultima Ratio gilt ein Misstrauen­svotum gegen die Regierung von Premiermin­ister Johnson. Dazu bräuchte es aber eine Opposition, die sich über das weitere Vorgehen einig ist, und die Unterstütz­ung von Rebellen aus dem Regierungs­lager. Brexit-Gegner wie der konservati­ve Abgeordnet­e Dominic Grieve haben bereits angekündig­t, dass sie bereit wären, die eigene Regierung zu stürzen. Doch es dürfte auch in der Labour-Partei möglicherw­eise einige beinharte Brexit-Befürworte­r geben, die gerne einen No-Deal-Brexit sähen und Johnson aushelfen würden. Letztlich braucht es vor allem einen Plan, wie es nach dem Sturz der Regierung weitergeht. Denn findet sich innerhalb von zwei Wochen keine Mehrheit für eine Regierung, muss neu gewählt werden. Doch den Wahltermin legt der scheidende Premiermin­ister fest. Johnson könnte ihn auf ein Datum nach dem EU-Austritt am 31. Oktober legen und so den No-Deal-Brexit einfach geschehen lassen.

Dem Parlament sind die Hände gebunden

Könnte der Streit vor Gericht entschiede­n werden?

Eine Gruppe von Abgeordnet­en hatte bereits vor der Entscheidu­ng der Regierung zur Prorogatio­n eine gerichtlic­he Überprüfun­g der umstritten­en Maßnahme angestoßen. Ein schottisch­es Gericht sollte sich am 6. September mit dem Thema befassen. Dieser Prozess soll nun nach dem Willen der No-Deal-Gegner beschleuni­gt werden. Der Court of Sessions in Schottland wäre aber lediglich die erste Instanz in der Frage. Christoph Meyer, dpa

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Foto: House of Commons, dpa Die Frage wird sein, ob sich das Unterhaus erfolgreic­h gegen eine vorübergeh­ende Schließung des Parlaments wehren kann.

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