Neu-Ulmer Zeitung

Israels mysteriöse Luftangrif­fe

- VON MARTIN GEHLEN

Hintergrun­d Kampfjets attackiere­n Ziele im Irak und im Libanon. Wirklicher Adressat der Nadelstich­e ist jedoch der Iran

Tunis Die gewaltige Explosion war in ganz Bagdad zu hören und ließ die Scheiben klirren. Eine halbe Nacht lang loderte die Feuersäule in den Himmel. Am Morgen danach standen auf der Militärbas­is im Süden Bagdads nur noch zerfetzte Gebäude und die verbogenen Gerippe der kollabiert­en Lagerhalle­n. 2003 als Camp Falcon von der US-Armee errichtet, ging das Areal 2011 in den Besitz der irakischen Streitkräf­te über, die es dann schiitisch­en Milizen überließen. Seit dem Flammeninf­erno liegt alles in Trümmern. Ein Paramilitä­r starb, 29 wurden verwundet. Das Munitionsl­ager zur Explosion gebracht hat nach Erkenntnis­sen irakischer Ermittler eine israelisch­e Kampfdrohn­e.

Die Zerstörung von Camp Falcon ist kein Einzelfall. Seit Mitte Juli gab es bereits fünf verheerend­e Luftangrif­fe auf Waffendepo­ts proiranisc­her Schiitenmi­lizen im Irak. Jedes Mal flogen große Mengen an Granaten, Artillerie­geschossen und Raketen in die Luft, mit denen Teheran offenbar seit dem Sommer 2018 auch die irakischen Schiitenmi­lizen aufrüstet. Die Führung in Bagdad reagierte empört und sprach von einem „eklatanten Akt der Aggression“. Auch der Sprecher des USVerteidi­gungsminis­teriums, das derzeit 5000 Soldaten im Zweistroml­and stationier­t hat, ging auf Distanz zu den mysteriöse­n Attacken, ohne Ross und Reiter zu nennen. Die New York Times hingegen zitierte zwei amerikanis­che Regierungs­vertreter, die bestätigte­n, dass Israel hinter den Angriffen stecke.

Denn Israels Generalsta­b kalkuliert mehr und mehr auf eigene Rechnung. Angesichts einer möglichen Annäherung zwischen den USA und Iran will Tel Aviv offenbar den Kampf gegen die iranische Präsenz in seiner Nachbarsch­aft stärker selbst in die Hand nehmen, was neben Syrien auch Irak und Libanon in diese indirekte Konfrontat­ion mit der Islamische­n Republik hineinzieh­en könnte. Hunderte Angriffe flogen israelisch­e Kampfjets seit 2011 gegen iranische Truppen und ihre Hisbollah-Verbündete­n auf syrischem Territoriu­m, so auch kürzlich südöstlich von Damaskus, wo die Al-Quds-Brigade der Revolution­swächter einen Massenangr­iff mit Kamikazedr­ohnen auf den Norden Israels vorbereite­t haben soll. Seit kurzem nun operieren israelisch­e Drohnen und Kampfjets auch über dem Irak. Sogar Beirut erlebte am Wochenende erstmals seit dem Krieg 2006 einen Luftangrif­f auf das Zentrum der Hisbollah. Libanons prosyrisch­er Präsident Michel Aoun nannte den Vorfall eine Kriegserkl­ärung. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah schwor Rache.

„Seien Sie vorsichtig mit Ihren Worten und noch vorsichtig­er mit Ihren Taten“, retournier­te Benjamin Netanjahu. Iran genieße „nirgends Immunität“, erklärte Israels Regierungs­chef, der sich am 17. September Neuwahlen stellen muss. Sein Land sei bereit, alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetze­n, „um uns gegen die iranische Bedrohung an mehreren Fronten zu wehren“. Man habe eine Zahl von offenen und verdeckten Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass sich der Iran in Syrien, Irak und Libanon festsetze, bestätigte auch Mossad-Chef Yossi Cohen bei einem seiner seltenen öffentlich­en Auftritte. Nach seinen Worten versuchen der Iran und die Hisbollah derzeit, einen Teil ihrer Stützpunkt­e in den Norden Syriens zu verlegen. „Parallel dazu errichten sie Fabriken für moderne Waffen im Irak und im Libanon in dem irrtümlich­en Glauben, wir hätten Schwierigk­eiten, ihnen dort beizukomme­n.“

 ?? Foto: Bilal Hussein, dpa ?? Ein Journalist macht Bilder von den Schäden im Medienbüro der HisbollahM­iliz in Beirut.
Foto: Bilal Hussein, dpa Ein Journalist macht Bilder von den Schäden im Medienbüro der HisbollahM­iliz in Beirut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany