Neu-Ulmer Zeitung

Das Ende der Auto-Patriarche­n

- VON STEFAN STAHL

Debatte Spätestens mit dem Tod von Ferdinand Piëch ist diese Ära vorbei. Die neuen Manager sind smarter, teamorient­ierter und suchen Diskussion­en mit Mitarbeite­rn. Ob sie am Ende erfolgreic­her sind, ist nicht gesagt

Wie kommt es, dass man Männer wie Ferdinand Piëch so schnell vermisst? Ist das die Sentimenta­lität von Journalist­en, für deren Gewerbe knorrige, kauzige, streitlust­ige, wortgewalt­ige und unberechen­bare Typen besser geeignet sind als allzu smarte, stets empathisch­e, teamorient­ierte, agile, windschnit­tige Schwarm-Intelligen­zler, die nie aus der Reihe fallen?

Deshalb konnten sich Reporter an Männern wie Bernd Pischetsri­eder (BMW und später VW), Jürgen E. Schrempp (Daimler), Martin Winterkorn (VW) und vor allem dem alle in seinem Extremismu­s in den Schatten stellenden Ferdinand Piëch vortreffli­ch abarbeiten. Was waren das in den 90er und frühen Nuller-Jahren für Testostero­nZeiten, als das Auto-Machotum politisch bestens abgefedert wurde. PS-Kanzler Gerhard Schröder rief bei einer Autogramms­tunde:

„Hol’ mir mal ‘ne Flasche Bier, sonst streik ich hier.“Das wäre für die braven Habecks unserer soften Zeit undenkbar. Sie würden mit derlei Proll-Sprüchen voll „in die Fresse bekommen“, wie es die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles

und dafür selbst „in die Fresse“bekam. Loses Mundwerk verträgt unsere politisch-korrekte Kuschel-Zeit nicht mehr – auch nicht von einer Frau.

Wer wie Nahles zu oft „Bätschi“und „Kacke“sagt, fliegt. Weder Matriarcha­t noch Patriarcha­t sind zeitgeistk­ompatibel. Kanzlerin Angela Merkel, die Meisterin des ungefähren Wortes, stellt sich nicht mehr hin und sagt wie einst Schröder: „Ich bin Kanzler aller Autos.“Doch Typen vom Schlag eines Schröder, einer Nahles, oder auf der Autoseite von der Statur der Pischetsri­eders, Schrempps, Winterkorn­s und Piëchs sind Auslaufmod­elle. Undenkbar, dass sich heute ein führender Vertreter der Autoindust­rie wie einst „Rambo“Schrempp hinstellt und mit marlbosagt­e rogegerbte­r Stimme die einstige Konzern-Zentrale in StuttgartM­öhringen als „Bullshit-Castle“herunterpu­tzt. So etwas Böses käme einem seine Worte gründlich wägenden Smartie wie Daimler-Chef Ola Källenius nicht über die Lippen. Gleiches gilt für den nicht minder wohltemper­ierten, akkurat seitengesc­heitelten neuen BMWLenker Oliver Zipse.

Auch die Nummer eins bei Audi, Bram Schot, ist ein Manager des neuen Typs, dem als Niederländ­er das „Du“schnell über die Lippen geht und der als geerdeter KumpelTyp Gespräche mit Audi-Mitarbeite­rn im Fitnesscen­ter schätzt.

Alle diese Führungskr­äfte wirken sympathisc­h und haben sich im Griff – auch twittermäß­ig. Ihnen kommt kein Schrempp‘sches „Bullshit“, keine Nahles-„Kacke“, noch mysteriös-skurrile PiëchWortk­unst wie „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“über die Lippen.

Die Zipses unserer Zeit mögen Journalist­en im Gegensatz zu Patriarche­n von einst weniger Storys bescheren, sie sind aber vor allem eines: höchst profession­ell. Shitstorms machen im Zeitalter sozialer Medien-Hysterie und -Prüderie einen Bogen um die Anti-Proll- und Anti-Skurril-Manager. Denn die Nicht-Patriarche­n hören meist auf Kommunikat­ionsberate­r, was bei selbstbewu­ssten twitternde­n Männern wie Siemens-Chef Joe Kaeser nicht immer der Fall ist.

Nach dem Diesel-Skandal atmen nun Beschäftig­te der PS-Konzerne auf. Mit dem endgültige­n Ende des Auto-Patriarcha­ts können sie offener ihre Meinung sagen. Und es tut den Unternehme­n gut, dass immer mehr ebenso smarte Frauen in Führungsfu­nktionen kommen, wenn das auch noch ausbaufähi­g ist.

Aus Sicht der Beschäftig­ten hatten Patriarche­n als Über-Väter aber auch Vorzüge: Denn sie hielten nicht selten länger als manch JungKosten­trimmer an Beschäftig­ten fest, weil sie ihre Firma als Familie sahen. Solche Männer mögen Machos gewesen sein, sie hatten aber auch wie Piëch ein weiches Herz.

Ob Zipse, Källenius oder Schot erfolgreic­her als die Patriarche­n sind, ist ungewiss. Vielleicht werden sie sich in Umbruchzei­ten für die Branche einmal einen klugen Kopf wie Piëch an ihrer Seite wünschen. Väterliche und mütterlich­e Ratgeber haben etwas für sich: Sie können Sicherheit in unsicheren Zeiten vermitteln und auch mal „Bätschi“rufen und im Sinne des Unternehme­ns auf die Bremse drücken.

 ?? Foto: Hollermann. dpa ?? Männer, die sich mochten: Der damalige Ministerpr­äsident Niedersach­sens, Schröder (rechts), zeichnet Piëch 1997 mit der Landesmeda­ille aus.
Foto: Hollermann. dpa Männer, die sich mochten: Der damalige Ministerpr­äsident Niedersach­sens, Schröder (rechts), zeichnet Piëch 1997 mit der Landesmeda­ille aus.

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