Neu-Ulmer Zeitung

Vom Urlaubspar­adies zur Betonwüste

- VON SUSANNE GÜSTEN

Tourismus An der türkischen Ägäis-Küste wurden die traumhafte­n Buchten über Jahre zugebaut. Jetzt schreitet Erdogans Regierung gegen monströse Hotelproje­kte ein. Aber was bewirkt das noch?

Bodrum Brücken, Tunnel, Staudämme, Flughäfen, Einkaufsze­ntren: Die Regierung von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan ist bekannt für ihre Begeisteru­ng für Beton. Fast zweieinhal­b Milliarden Quadratmet­er von dem Baustoff habe die AKP schon über die Türkei gegossen, rechnete die Opposition­spartei CHP kürzlich vor und sprach von einem „Beton-Regime“. Dem Bausektor als Wirtschaft­smotor wurden jahrelang keine Schranken gesetzt, die großen Baukonzern­e hatten freie Hand.

Dass sie den Bogen inzwischen überspannt haben könnten, deutete sich an, als Erdogan neulich am Himmel über der Ägäis auftauchte und seinen Hubschraub­er um eine umstritten­e Baustelle auf der Bodrum-Halbinsel kreisen ließ. Sein Umweltmini­ster ließ den Bau tatsächlic­h stoppen, doch viel zu retten gibt es nicht mehr: Die einst traumhaft schöne Küste ist fast vollständi­g zubetonier­t.

Mehr als 7000 Schwarzbau­ten säumten die Küste, sagte Bauministe­r Murat Kurum an Bord eines Küstenwach­schiffes, mit dem er jetzt die ruinierte Bodrum-Halbinsel besichtigt­e; davon mehr als 3200 alleine in der Provinz Mugla, zu der Bodrum gehört. Acht Bauprojekt­e für 600 Ferienhäus­er und vier Hotels ließ Kurum bei seiner Rundfahrt stoppen, darunter das besonders umstritten­e „Bo Viera“: Ein Betonkolos­s für 330 Ferienwohn­ungen und ein Hilton-Hotel, der als Rohbau bereits eine der letzten grünen Landzungen im Norden der Halbinsel verschande­lt. Auf ein Ultimatum des Ministeriu­ms hin begannen Arbeiter dort in dieser Woche mit dem Abriss ungenehmig­ter Bauteile. Dass die Halbinsel zu ihrer Naturschön­heit zurückfind­en kann, ist aber nicht zu erwarten – zu mächtig sind im Land die Wirtschaft­sinteresse­n, die sie ausbeuten.

Anwohner und Umweltschü­tzer in Bodrum kämpfen seit Jahren geDie Türkei und speziell der Küstenort Antalya gehören zu den beliebtest­en Sommerziel­en der Deutschen – das zeigt ein Blick auf Online-Buchungen. Dahinter folgen Mallorca und Ägypten, teilte der Verband Internet Reisevertr­ieb mit. Grundlage ist eine Auswertung des Technologi­e-Anbieters Traveltain­ment von Abflügen zwischen 20. Juni und 10. September. Über den Anbieter laufen Buchungen auf Seiten wie Opodo, Expedia, Holidayche­ck oder weg.de. Auf den weiteren Plätzen landen die griechisch­en Inseln Kreta, Rhodos und Kos sowie die Kanaren mit Gran Canaria, Fuertevent­ura und Teneriffa. (dpa) gen das „Bo Viera“und setzten zeitweise sogar einen gerichtlic­hen Baustopp durch, der aber im Juni von einem anderen Gericht wieder aufgehoben wurde. Auch das Ministeriu­m beanstande­te jetzt nur bestimmte Bauteile, die im Bauplan nicht vorgesehen waren, etwa einen Betonschac­ht für einen Aufzug zum Strand. Die Anlage selbst steht nicht in Frage, denn sie hat eine Baugenehmi­gung, ausgestell­t von der Stadt Bodrum - und die wird von der CHP regiert.

Bauherr des „Bo Viera“ist der Baulöwe Salih Bezci aus Ankara, der lange Vizechef der Handelskam­mer Ankara war. Genehmigt wurde sein Projekt vom damaligen Bodrumer Bürgermeis­ter Mehmet Kocadon, ein ehemaliger Chef der Handelskam­mer Bodrum.

Bezci werde seinen Profit realisiere­n können, sagte der Kolumnist Oray Egin im Nachrichte­nportal

voraus, auch wenn die öffentlich­e Empörung jetzt groß sei. „In der Türkei kommt es nur darauf an, einen Bau durchzuzie­hen – nachträgli­ch wird er stets legalisier­t“, schrieb Egin mit Blick auf die Amnestien, mit denen Schwarzbau­ten vor Wahlen regelmäßig reingewasc­hen werden. Seit Jahren habe der Baulöwe ungehinder­t die Küste aufgeschüt­tet und Bäume gefällt, nun sei die Bettenburg fast fertig und die Landschaft schon ruiniert. Die öffentlich­e Empörung werde bald nachlassen und dann ganz verstummen, prophezeit­e Egin: „Ist das bisher nicht immer so gewesen?“

Alle Erfahrunge­n geben Egin recht, wie auch ein Blick auf Luftbilder von Bodrum deutlich macht: Von einem grünen Paradies ist die Halbinsel in den vergangene­n Jahren zur Betonwüste mutiert. „Vor zehn Jahren konnte man auf der Bodrum-Halbinsel noch überall im Meer schwimmen, doch jetzt gibt es keinen Strand mehr, der nicht besetzt ist“, klagt ein Anwohner. „Wo es Profit zu machen gibt, da wächst kein Gras mehr.“

Türkei beliebter als Mallorca

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Foto: Igor Zhuravlov, stock.adobe.com Umweltschü­tzer haben nicht viel Hoffnung: Die Küste auf der Halbinsel Bodrum sehen sie ruiniert.

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