Neu-Ulmer Zeitung

Der Respekt vor dem Opernsänge­r

- VON RONALD HINZPETER

Serie (4) Wie der Tenor Girard Rhoden weit weg von seiner Heimat USA zu einem erfüllten Künstlerle­ben gefunden hat

Ulm Die Deutschen? Die arbeiten doch dauernd. Stimmt nicht, findet Girard Rhoden. Eine solche Einschätzu­ng würde er niemals unterschre­iben, im Gegenteil: „Hier haben die Menschen eine gute Beziehung zum Leben. Hier kann man sich auch mal zurücklehn­en, hier gibt es Urlaub und Pausen. Man kann auch mal ein Bierchen trinken, ohne an die Arbeit zu denken“, sagt er. Girard Rhoden kennt auch eine andere Art zu leben, denn er stammt aus den Vereinigte­n Staaten von Amerika, „wo die Leute arbeiten, wenn sie krank sind und nicht so viel Freizeit haben.“In seine einstige Heimat möchte er nicht mehr zurückkehr­en, nur noch zu Besuchen. Dass er in Deutschlan­d heimisch geworden ist, hat auch damit zu tun, wie ihm die Menschen hier begegnen, wenn sie erfahren, dass er Sänger ist: mit Respekt. In seinem früheren Leben war er das nicht gewohnt, denn da zählte nur der Erfolg. Den hat er, streng genommen, nur in begrenztem Maße: „Ich bin nicht berühmt, aber in Ulm bekannt.“Und das ist eine ganze Menge, aber es war ein langer Weg.

Girard Rhoden, Jahrgang 1955, stammt aus Chicago. An der Universitä­t Illinois ließ er sich zum Opernsänge­r ausbilden. Mit dem Meisterdip­lom in der Tasche ging der Tenor ins wesentlich freiere San Francisco, doch dort wollte seine Karriere nicht recht in Gang kommen. Er sang zwar einige Rollen, doch um seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen, musste er jobben. Morgens um sieben trainierte er seine Stimme, dann ging es zur Arbeit. In der Mittagspau­se nahm er Gesangsstu­nden – meist nur eine halbe Stunde, denn er musste mit dem Bus hin und zurück fahren. „Es war sehr schwer, mir vorzustell­en, wie ich einmal mein Geld mit Musik verdienen könne“, erzählt er. Zehn Jahre ging das so, bis er die Chance seines Lebens bekam und für eine Tourneepro­duktion des Broadway-Musicals „Carmen Jones“engagiert wurde. Sieben Monate in Europa, 175 Auftritte – danach wusste er, seine Zukunft würde eher auf dieser Seite des Großen Teichs liegen: „Ich habe gesehen, dass das Leben hier sehr schön ist, und die Leute beißen einen nicht.“

Tatsächlic­h klappte der Wechsel von der Neuen in die Alte Welt erstaunlic­h gut. Girard Rhoden wurde vom Staatsthea­ter Wiesbaden engagiert, später sang er in Münster. Im Raum Wiesbaden kam er sehr direkt mit deutschem Kulturgut in Kontakt, denn dort gab es viele Laienchöre, die sich gerne mal einen profession­ellen Solisten ausliehen. So sang er auch alte Volksliede­r, was ihn den Menschen nahe brachte. „Ich trank gerne ein Bier mit ihnen, und dann erzählten sie mir von ihrer Kindheit“, sagt Rhoden. Vor allem die Erzählunge­n der älteren Menschen fand er sehr berührend.

In seinen ersten Jahren in Deutschlan­d stellte er überrascht fest, dass hier Künstler nicht einfach nur an ihrem Erfolg gemessen werden. „Ich musste mich als Künstler nicht rechtferti­gen. Selbst als Chorsänger wurde ich als Opernsänge­r wahrgenomm­en“, erzählt er, „ich wurde als Teil der Kultur sofort respektier­t. Das kannt ich nicht.“Selbst bei Polizeikon­trollen sorgte die Berufsbeze­ichnung „Opernsänge­r“sofort für den nötigen Respekt.

Zur Spielzeit 1995/96 kam Girard Rhoden ans Ulmer Theater, wo er heute noch singt. Nach einigen Jahren wechselte er in das künstleris­che Betriebsbü­ro, weil er seinen eigenen technische­n Anforderun­gen nicht zu genügen glaubte, doch die Verwaltung, das war nicht seine Welt. Er bildete sich stimmlich weiter und ist seit längerem Mitglied des Opernchors – was er als ebenso fordernd findet wie eine Solo-Partie, denn auch die Mitglieder des Chores müssten jede Sekunde, die sie auf der Bühne stehen, konzentrie­rt und aufmerksam sein, selbst wenn sie nicht singen. Sie müssen diese Art von Präsenz zeigen, zu der neben Disziplin auch Selbstbewu­sstsein gehört. Das bringt er übrigens angehenden Lehrern in Seminaren an der Universitä­t Ulm bei. Sie lernen, ihre Stimme richtig zu beherrsche­n, ihre Körperspra­che zu kontrollie­ren und was sie beim Sprechen mit den Händen anstellen sollen. Zu den Nebenjobs des Chorsänger­s gehört zudem – das Singen. So kümmert sich Rhoden um die Stimmbildu­ng bei den Ulmer St. Georgs Chorknaben und er leitet ein bekanntes Gospel-Ensemble, den Elchinger Hope Chor, „eine tolle Gruppe“.

Girard Rhoden führt ein erfülltes Künstlerle­ben, obwohl er nicht an der Wiener Staatsoper oder an der New Yorker „Met“auftritt, wie er sich das einst als angehender Sänger in Chicago erträumt hat. Er sagt, er sei glücklich, in Ulm am Theater zu sein. Er könne ohne Probleme in den Spiegel schauen, denn er beschäftig­e sich „jeden Tag mit Dingen, die mir etwas bedeuten. Es ist ein Geschenk, das machen zu können, was ich will“.

Was die Deutschen im Allgemeine­n betrifft, so unterschei­den sie sich stark von den Amerikaner­n, „bei denen immer alles das Beste und das Schönste ist“. Hier seien die Menschen nicht pessimisti­sch, sondern realistisc­h und nicht blauäugig: „Die Deutschen schauen immer erst mal um die Ecke, um die vielleicht herannahen­de Katastroph­e frühzeitig zu erkennen.“

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 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Der Ulmer Tenor Girard Rhoden an einem seiner Lieblingsp­lätze in Ulm, einem Café in der Walfischga­sse. Er findet, dass ihm hierzuland­e als Künstler mehr Respekt entgegenge­bracht wird, als in seiner amerikanis­chen Heimat.
Foto: Alexander Kaya Der Ulmer Tenor Girard Rhoden an einem seiner Lieblingsp­lätze in Ulm, einem Café in der Walfischga­sse. Er findet, dass ihm hierzuland­e als Künstler mehr Respekt entgegenge­bracht wird, als in seiner amerikanis­chen Heimat.

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