Neu-Ulmer Zeitung

Von Lucke bis Höcke?

- VON SIMON KAMINSKI

Analyse Keine Partei hat in den letzten Jahrzehnte­n einen solchen solchen Aufstieg erlebt wie die AfD. Kaum eine Partei aber hat gleichzeit­ig auch so häufig durch Intrigen und Spaltungen für Schlagzeil­en gesorgt. Jetzt könnte ihr Weg weiter nach rechts führen

Augsburg Die Erfolge sind beeindruck­end: Die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) feiert seit Jahren fast ausnahmslo­s Wahlsiege, ist in allen Landesparl­amenten sowie im Europaparl­ament präsent und enterte mit 12,6 Prozent bei der Wahl 2017 den Bundestag. Mit einer solchen Erfolgsges­chichte konnten weder die Grünen in den 80er Jahren noch die Linke in den 90ern – die bis dahin nach der Etablierun­g der CDU/CSU spektakulä­rsten Neugründun­gen der deutschen Parteienge­schichte nach dem Zweiten Weltkrieg – aufwarten.

Das zweite Alleinstel­lungsmerkm­al der AfD ist, dass es ihr als erste Partei aus dem rechten Spektrum gelungen ist, über Achtungser­folge hinauszuko­mmen. Das hat die Partei der rechtsextr­emen NPD, den in Bayern gegründete­n Republikan­ern oder der norddeutsc­hen Schill-Partei voraus, die nicht in der Lage waren, sich dauerhaft in den deutschen Parlamente­n zu halten.

Dabei ist die AfD-Historie eine Geschichte der Spaltungen, des andauernde­n Richtungss­treits und der Flügelkämp­fe. Mit der „Professoau­sgetragen ren-Partei“, die sich 2013 auf dem Höhepunkt der Währungskr­ise als euroskepti­sche Partei gründete, hat die AfD dieser Tage nicht mehr viel gemein. Im Gegenteil: Fast verblasst ist die Erinnerung an die Zeiten, als der Professor für Volkswirts­chaft aus Hamburg, Bernd Lucke, die Partei führte. Zwar gab es schon damals schrille Töne, doch im Vergleich zu heute ging es fast betulich, ja bieder zu. Allerdings agierten schon damals in der AfD Gruppen, die die Zukunft der Partei im tiefen rechten politische­n Spektrum sahen.

Lucke erkannte Anfang 2015, dass ihm die AfD zu entgleiten drohte. Er versuchte fast verzweifel­t, die Lage in den Griff zu bekommen. Zu spät, denn die ostdeutsch­en Landesverb­ände hatten den Richtungsw­echsel längst vorweggeno­mmen. Die Wähler in Thüringen, Sachsen und Brandenbur­g belohnten die AfD 2014 dafür, dass die Partei dort von wirtschaft­sliberal auf rechtspopu­listisch umgeschalt­et hatte. Die alte Garde um Lucke, den Ex-Topmanager Olaf Henkel oder den Eurokritik­er Joachim Starbatty hatte ausgespiel­t und verabschie­dete sich mit gut 20 Prozent der schon rund 20 000 Mitglieder aus der AfD. Auf diese Weise wurde aus einem schleichen­den Rechtsdral­l ein veritabler Sprung nach rechts.

Damit wähnte sich die ehrgeizige Frauke Petry am Ziel. Doch zunächst schien es, als liefe das Wahlvolk der AfD nach der spektakulä­ren Spaltung davon. Bis das kam, was Alexander Gauland mit entwaffnen­der Offenheit ein „Geschenk“für seine Partei nannte: Die Flüchtling­skrise, gefolgt von islamistis­chem Terror, brachte der AfD das Gewinnerth­ema Migration, das sie bis heute in das Zentrum ihrer Politik stellt. Einerseits. Anderersei­ts hat sich die Partei gleichzeit­ig – und zwar mit besonderem Erfolg im Osten Deutschlan­ds – als Sammelbeck­en derjenigen etabliert, die sich abgehängt, benachteil­igt und verunsiche­rt fühlen. 2016 erreichte die AfD mit dieser Attitüde im Osten Ergebnisse jenseits der 20-ProzentMar­ke, konnte aber auch im Westen Fuß fassen. Dass innerparte­ilich durchweg Feuer unterm Dach war, Missgunst und Intrigen öffentlich wurden, vermochte den Aufstieg der AfD nicht nachhaltig zu stoppen. Auch das Unfertige, Heterogene, das in ihrer Programmat­ik steckt, hat ihr kaum geschadet – oder wurde kaum beachtet.

Doch ein leichtes Schwächeln bei Wahlen im Frühjahr 2017 sollte ausreichen, um das Ende von Frauke Petry an der Spitze der Partei einzuleite­n. Allerdings half sie selber gehörig mit – ihr autoritäre­r, ja mitunter divenhafte­r Führungsst­il führte dazu, dass sie, als es darauf ankam, kaum noch einflussre­iche Freunde hatte. Duplizität der Ereignisse: Wie zuvor Lucke kehrte auch Petry der AfD den Rücken, um – ohne messbaren Erfolg – eine neue Partei aufzubauen. Oder kennt jemand die von ihr gegründete­n „Blauen“näher? Trotz der erneuten Spaltung blieben die AfD-Wähler treu, ja es wurden deutlich mehr: Die 12,6 Prozent bei der Bundestags­wahl 2017 bedeuteten eine Verdreifac­hung ihres Ergebnisse­s von 2013.

Zuverlässi­ge Begleiter der AfD sind die Debatten, ob und wann eine weitere Radikalisi­erung der Partei schaden könnte. Das Thema wird außerhalb, aber auch innerhalb der AfD diskutiert. Bisher jedoch ist zwar die Aufregung groß, wenn der Chef des rechtsnati­onalen „Flügels“, Björn Höcke, das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“bezeichnet oder Verbindung­en von AfD-Politikern zu rechtsextr­emen und antisemiti­schen Kreisen publik werden. In den Umfragen steht die AfD dennoch gut da. Daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass der Verfassung­sschutz den „Flügel“und den Parteinach­wuchs als Verdachtsf­all führt und Teilen der Partei „extremisti­sche Bestrebung­en“attestiert.

Dennoch ist davon auszugehen, dass Co-Parteichef Jörg Meuthen die nationalen, völkischen Töne von Höcke mit gemischten Gefühlen registrier­t. Schließlic­h könnte es nach den drei Landtagswa­hlen beim Bundespart­eitag im November auch um seine eigene politische Zukunft gehen. Denkbar wäre, dass Höcke und seine Anhänger – gestärkt durch gute Wahlergebn­isse im Osten – den offenen Machtkampf suchen. Nichts anderes wäre eine Kandidatur Höckes für einen der beiden Bundesspre­cher-Posten – so nennt die AfD ihre Parteichef­s. Seit das Parteiauss­chlussverf­ahren gegen den in Westfalen geborenen Lehrer im Sande verlaufen ist, scheint dessen Selbstbewu­sstsein keine Grenzen mehr zu kennen. Der 47-jährige Thüringer AfD-Chef wird zudem registrier­t haben, dass ein parteiinte­rner Appell gegen einen weiteren Ruck nach rechts nur überschaub­are Durchschla­gskraft entwickelt hat und dass weder die Parteichef­s Meuthen und Alexander Gauland noch Fraktionsc­hefin Alice Weidel den Anti-Höcke-Aufruf unterzeich­net haben. Der Schluss liegt nahe, dass beim Spitzenper­sonal die Überzeugun­g fehlt, dass der „Flügel“überhaupt noch gestutzt werden kann – Schätzunge­n besagen, dass rund 40 Prozent der Parteimitg­lieder mit der Gruppe sympathisi­eren.

Droht in Zukunft eine erneute Spaltung? Unter den führenden Protagonis­ten der verschiede­nen Strömungen in der AfD ist es ein Tabu, ein solches Szenarion auch nur anzudeuten. Dass sich das schnell ändern kann, zeigt der Blick auf die kurze, aber bewegte Geschichte dieser noch jungen Partei.

Die „Professore­n-Partei“ist längst nur noch Geschichte Der Thüringer Parteichef ist selbstbewu­sster denn je

 ?? Archivfoto: Sebastian Willnow, dpa ?? Letzte Absprachen vor der heißen Phase der Wahlkampfe­s in Thüringen: Der Bundesvors­itzende Bernd Lucke im Jahr 2014 mit dem Landeschef Björn Höcke. Das war vor nur fünf Jahren. Doch inzwischen ist einiges passiert in der AfD. Von Lucke spricht kaum jemand mehr in der Partei. Doch Höcke ist noch da – stark wie nie zuvor.
Archivfoto: Sebastian Willnow, dpa Letzte Absprachen vor der heißen Phase der Wahlkampfe­s in Thüringen: Der Bundesvors­itzende Bernd Lucke im Jahr 2014 mit dem Landeschef Björn Höcke. Das war vor nur fünf Jahren. Doch inzwischen ist einiges passiert in der AfD. Von Lucke spricht kaum jemand mehr in der Partei. Doch Höcke ist noch da – stark wie nie zuvor.

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