Neu-Ulmer Zeitung

Warum Firmen und Azubis nicht zusammenfi­nden

- VON PHILIPP WEHRMANN

Beruf Für tausende junge Leute beginnt die Lehre. Doch obwohl Firmen mehr Azubis suchen, stieg die Zahl der Bewerber ohne Job

Augsburg Betriebe buhlen nach wie vor um Auszubilde­nde – ihre künftigen Fachkräfte. Viele Unternehme­n schaffen sogar zusätzlich­e Ausbildung­splätze. Gleichzeit­ig nimmt die Zahl der Bewerber ab. In Schwaben suchten heuer 11450 junge Menschen einen Ausbildung­splatz, 5,6 Prozent weniger als im Vorjahr, geht aus Zahlen der Agentur für Arbeit hervor. Gleichzeit­ig ist die Zahl der Stellen um 2,8 Prozent auf 15 540 gestiegen. Weniger Bewerber kommen auf mehr Plätze. Trotzdem haben heuer mehr Jugendlich­e keine gefunden: 1666 Bewerber haben bislang keine Zusage bekommen, 1,6 Prozent mehr als im Vorjahr – obwohl fast 5000 Plätze frei sind.

Dass weniger junge Leute sich für eine Ausbildung entscheide­n, hat zwei Hauptgründ­e: Erstens sinkt die Zahl der Schulabgän­ger wegen des demografis­chen Wandels, zweitens zieht es immer mehr von ihnen an die Hochschule­n. Die Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben hat dennoch 0,5 Prozent mehr Ausbildung­sverträge abgeschlos­sen als im vergangene­n Jahr. Allerdings bleiben laut der Kammer „hunderte Ausbildung­splätze unbesetzt“. Während weniger bekannte Berufe wie der Verfahrens­mechaniker für Kunststoff- und Kautschukt­echnik selten von Bewerbern nachgefrag­t würden, tendieren mehr Bewerber zu kaufmännis­chen Berufen.

Dazu kommt noch etwa anderes: Weniger Geflüchtet­e beginnen eine Ausbildung bei den Unternehme­n der IHK. „Das liegt aber nicht an einer gesunkenen Bereitscha­ft von Unternehme­n oder Geflüchtet­en, sondern daran, dass ihre Zahl abgenommen hat und viele keine Ausbildung beginnen dürfen“, sagt Thomas Schörg, Sprecher der Kammer.

Im Handwerk sind die abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge heuer um 2,2 Prozent zurückgega­ngen. Allerdings verweist Volker Zimmermann, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben, auf eine Zunahme um sechs Prozent im Vorjahr. Im Handwerk herrsche nach wie vor „Topkonjunk­tur“. Weil der Fachkräfte­mangel anhalte, setzten die Betriebe verstärkt auf die Ausbildung. Manche Gewerke wie das Kfz-Handwerk tun sich bei Suche leichter, doch gerade die Lebensmitt­eloder die Baubranche haben es schwer.

Zahlen dazu, wie viele Pflegeschü­ler es heuer geben wird, liegen erst im Oktober vor, teilt das zuständige Gesundheit­sministeri­um mit. Die Schüler werden genau wie etwa Auszubilde­nde zum Erzieher weder von der Arbeitsage­ntur noch von einer der Kammern erfasst. Dennoch ist gerade in der Pflege der Bedarf an Nachwuchs enorm. In den vergangene­n fünf Jahren war diese Schülerzah­l von 6432 auf 6682 gestiegen. Ob das reicht, um den Bedarf an Pflegekräf­ten zu decken? Ein Ministeriu­mssprecher antwortet: 2030 werde es 21,7 Prozent mehr Pflegebedü­rftige geben als noch 2017. „Vor diesem Hintergrun­d ist eine erhebliche Steigerung der Anzahl der Pflegekräf­te erforderli­ch.“

Die regionalen Wirtschaft­skammern berichten von immer größeren Anstrengun­gen ihrer Mitgliedsb­etriebe, den Auszubilde­nden zusätzlich­e Anreize zu bieten: Sie erzählen etwa von Azubi-Autos für besondere Leistungen.

Aus Sicht von Matthias Jena, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes Bayern, reicht das nicht. Er sagt, viele Betriebe trügen selbst die Schuld daran, dass sie keine Azubis finden: „Über den Fachkräfte­mangel jammern und gleichzeit­ig Lehrlinge und solche, die es werden wollen, mit schlechten Arbeitsbed­ingungen vergraulen – das passt nicht zusammen.“Viele Arbeitgebe­r würden Auszubilde­nde als billige Arbeitskrä­fte missbrauch­en. In solchen Fällen sei es kein Wunder, dass Lehrlinge ihre Ausbildung abbrechen oder Bewerbunge­n ausbleiben. Und der Gewerkscha­fter kritisiert noch etwas anderes: Er hat einen „Akademisie­rungswahn“bei Unternehme­n beobachtet. Viele Mittelschu­labsolvent­en blieben auf der Strecke, weil Jugendlich­e mit höheren Schulabsch­lüssen bevorzugt würden, sagt Jena. Die Wortwahl ist auffällig, beklagen doch gerade die Unternehme­r sehr häufig und gerne einen „Akademisie­rungswahn“in der Gesellscha­ft. Also eine Tendenz zu immer höheren Schulabsch­lüssen und weg von der Ausbildung.

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Foto: dpa Viele Betriebe suchen Azubis. Und viele Azubis noch eine Stelle.

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