Neu-Ulmer Zeitung

Gruppen-Sprechstun­de

- VON DANIELA HUNGBAUR

Gesundheit Viele Fachärzte müssen ab September offene Sprechzeit­en anbieten. Die neue Regelung ist höchst umstritten. Was bringt sie den Patienten?

Augsburg „Wegen Überfüllun­g geschlosse­n“– dieses Schild muss Dr. Steffen Gass immer wieder an seine Praxistür hängen. Der Hautarzt bietet zusammen mit seiner Kollegin Dr. Erika Oblinger seit vielen Jahren Sprechzeit­en ohne einen Termin an. Im zweiten Stock in einem Haus am Marktplatz in Günzburg ist seine Praxis. Dort erlebt er es immer wieder, dass sich an den Tagen, an denen er die offene Sprechstun­de anbietet, eine Warteschla­nge bis hinunter zum Gehsteig bildet. „Da warten dann oft geschätzt 70 Leute. Das schaffen wir irgendwann nicht mehr. Wir müssen dann das Schild ,Wegen Überfüllun­g geschlosse­n‘ raushängen. Viele Patienten müssen wir dann leider auch wieder wegschicke­n.“

Was Gass und seine Kollegin längst anbieten, wird für andere nun Pflicht: Viele Fachärzte wie Augen-, HNO-, Frauen- oder Hautärzte müssen ab September mindestens fünf offene Sprechstun­den in der Woche für neue Patienten oder Patienten ohne Termin anbieten. Dies besagt ein Gesetz, das sich abgekürzt wie ein Sportverei­n anhört: das TSVG. Das Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz, das Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) vorangetri­eben hatte. Ziel ist es, Patienten beim nicht selten langen Warten auf einen Termin zu helfen. Gerade Facharztte­rmine sind zuweilen schwierig zu bekommen. Wie eine Befragung der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) ergab, macht die Art der Versicheru­ng keinen unerheblic­hen Unterschie­d bei der Wartezeit: 34 Prozent der Kassenpati­enten mussten sich über drei Wochen gedulden, bis sie einen Facharztte­rmin bekamen, bei den Privatpati­enten waren es nur 18 Prozent.

Künftig müssen nach Angaben von Martin Eulitz von der KVB, der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern, die Praxen die Zeiten veröffentl­ichen, in denen sie offene Sprechstun­den anbieten. Auf dem Anrufbeant­worter, am Praxisschi­ld oder auf der Website. Auch auf der Internetse­ite www.kvb.de sollen künftig die Zeiten aufgeliste­t sein.

Fachärzte, die im Rahmen der offenen Sprechstun­den neue Patienten behandeln, erhalten laut KVB eine Vergütung wie bisher, die aber nicht budgetiert werde. Haus- sowie Kinderund Jugendärzt­e bekommen für eine erfolgreic­he Vermittlun­g an einen Facharzt ab September rund zehn Euro extra.

Hilft die neue Regelung nun den Patienten? Oder müssen sie lange vor der Praxistür warten – und dann wieder nach Hause gehen? Auch wenn es mitunter zu Warteschla­ngen vor seiner Praxis kommt – für die Patienten begrüßt Gass die Neuerung dennoch: „Für sie sind offene Sprechstun­den etwas Hervorrage­ndes.“Für die Ärzte allerdings nicht: „Das ist schon ein sehr starker Eingriff in die unternehme­rische Freiheit.“Neue Termine werden seiner Ansicht nach so nicht erzeugt. Die Terminkale­nder vieler seiner Hautarztko­llegen seien bis Februar 2020 voll. „Oft wird anderen Patienten abgesagt werden müssen, um die offenen Sprechstun­den anbieten zu können“, befürchtet Gass, der auch regionaler Vorstandsb­eauftragte­r der KVB Schwaben ist. Zumal die Arbeit gerade der Hautärzte zuletzt stark zugenommen hat: So gebe es deutlich mehr Hautkrebse­rkrankunge­n und damit auch mehr Operatione­n.

Aber auch die Ansprüche der Patienten sind nach Einschätzu­ng von Gass deutlich gestiegen: „Viele Menschen wollen einfach sofort zum Facharzt, auch wenn die Beschwerde­n keineswegs bedrohlich sind.“Mit dem Gebrauch von Google, wo viele Symptome sofort einen Verdacht auf Krebs ergeben, nehme dieser Trend noch zu.

Für den erfahrenen Hausarzt Dr. Jakob Berger, der in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg praktizier­t, gibt es für die Terminprob­leme beim Facharzt nur eine Lösung: „Es sollte einen Koordinato­r geben, und das sollte der Hausarzt sein.“In der Realität laufen seiner Meinung nach viele Patienten einfach zu einem Facharzt und sind dann oft auch noch beim falschen, weil sie ihre Beschwerde­n nicht richtig einschätze­n können. So würden Arztzeiten auch grundlos blockiert werden.

Auch Dr. Andreas Hellmann ist dafür, dass Haus- und Fachärzte eng kooperiere­n. „Die Zahl der ArztPatien­ten-Kontakte ist in Deutschlan­d gigantisch.“Der Internist und Lungenspez­ialist, der in einer Gemeinscha­ftspraxis am Augsburger Diakonisse­nkrankenha­us arbeitet, begrüßt aber das TSVG – „weil es endlich in die richtige Richtung geht“. Bei Notfällen wie plötzliche­r Atemnot kann schon immer jeder ohne Termin in die pneumologi­sche Praxis kommen. Denn ihm ist wichtig, dass die Patienten, die schnell einen Arzt brauchen, auch sofort Hilfe erhalten. „Die jetzige Struktur halte ich für patienteng­efährdend.“Denn seiner Einschätzu­ng nach werden Patienten oft immer wieder einbestell­t, neue Patienten mit akuten Beschwerde­n aber bekommen oft keinen Termin oder erst nach längerer Wartezeit. Hinzu komme, dass neue Patienten für Ärzte oft sehr aufwendig sind, die pauschalie­rte Vergütung für jeden Patienten aber gleich sei. Den Grund für das Terminprob­lem sieht Hellmann in der „dysfunktio­nalen“Honorierun­g der Ärzte, will heißen: Nach Hellmanns Meinung müssten Ärzte für die Problemlös­ung honoriert werden und nicht nach der Menge irgendwelc­her Leistungen, deren Menge auch noch gedeckelt sei. Auch die Quartalsin­tervalle bei der Abrechnung sind für Hellmann Unfug, weil sich die Behandlung von Krankheite­n nicht in drei Monatsschr­itten fassen lässt. Die nun bessere Honorierun­g für verschiede­ne Patienten – also etwa für HausarztNo­tfallpatie­nten oder Patienten in der offenen Sprechstun­de – sei zwar „in der Tat ein kaum akzeptable­r Eingriff in die Gestaltung­shoheit eines Praxisinha­bers“, den Ansatz aber findet Hellmann richtig.

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Foto: dpa Mitunter dauert es sehr lange, einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen. Eine neue Regelung soll das ändern.

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