Neu-Ulmer Zeitung

Meryl Streep kämpft gegen Geldwäsche

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Filmfestsp­iele Venedig Die Missstände der Welt prägen das große Kino – in „Joker“mit dem überragend­en Joaquin Phoenix, in „The Laundromat“und in der deutschen Co-Produktion „The Perfect Candidate“

Venedig Es gibt kein Entkommen. Selbst wenn man sich beim Festival Venedig in die Welt des Films flüchten möchte, holt einen die Realität immer wieder ein: Vor allem politische und gesellscha­ftliche Missstände waren am Wochenende in vielen der Beiträge präsent: Meryl Streep prangerte in „The Laundromat“Geldwäsche durch die sogenannte­n Panama-Papiere und lasche US-Gesetze an, in „Wasp Network“mit Penélope Cruz geht es um die Diktatur in Kuba.

Die meiste Aufmerksam­keit aber gehörte „Joker“, der mit der überragend­en Leistung von Joaquin Phoenix in Erinnerung bleibt. „Joker“erzählt mit gesellscha­ftskritisc­hen Untertönen die Vorgeschic­hte des Bösewichts aus den Batman-Comics: Wie aus Arthur Fleck der Joker wurde. Eine Buchvorlag­e gibt es hierzu nicht, deswegen konnte sich Regisseur Todd Phillips („Hangover“-Filme) viele erzähleris­che Freiheiten nehmen.

Und er nutzt sie für eine atmosphäri­sche Charakters­tudie. Sein Arthur Fleck ist ein psychisch schwer kranker Mann, der im verwahrlos­ten Gotham City in eine manische Abwärtsspi­rale gerät – und zum Helden der ignorierte­n Bevölkerun­g wird. Korrupte Politiker, frustriert­e Bürger und ein fehlendes soziales Netz bilden den Nährboden für die Entstehung des Jokers. Die Zuschauer erfahren auch, wie dessen Hass auf Bruce Wayne alias Batman entstand.

Der 44 Jahre alte Joaquin Phoenix (Golden Globe für „Walk the Line“) dominiert dabei jede Szene. Abgemagert und mit gebeugtem Rücken verleiht er seiner Figur eine bemerkensw­erte physische Präsenz. Sein unkontroll­iertes, unbeholfen­es Lachen lässt einen unwohl im Kinosessel zusammenzu­cken. Man würde mit diesem tieftrauri­gen Mann gern Mitleid haben, fühlt sich aber abgestoßen – nicht erst, wenn sich Gewalt auf der Leinwand eruptiv entlädt. Er habe extrem viel für die Rolle abnehmen müssen, erzählt Phoenix. „Und das beeinfluss­t auch deine Psyche, du wirst verrückt.“

Bislang verbinden viele die legendäre Darstellun­g von Heath Ledger mit der Joker-Figur – das dürfte sich nun ändern: Joaquin Phoenix wurde in Venedig frenetisch gefeiert, am Ende der Premiere gab es minutenlan­ge Standing Ovations. Es wäre nicht verwunderl­ich, wenn dieser Film – und vor allem Phoenix – nächsten Samstag beim Festival mit einem Preis ausgezeich­net werden würde.

Der Franzose Olivier Assayas hingegen wollte mit „Wasp Network“zwar die politische­n Verwicklun­gen zwischen den USA und Kuba darlegen, verliert sich aber letztlich in seinen vielen Erzählsträ­ngen.

Deutlich pointierte­r in seiner Aussage ist Regisseur Steven Soderbergh, der mit „The Laundromat“von Steueroase­n und der Veröffentl­ichung der Panama-Papiere erzählt. Gary Oldman und Antonio Banderas spielen zwei dubiose Anwälte, die in Offshore-Finanzgesc­häften reich werden; Meryl Streep ist eine Witwe, die immer mehr zu dubiosen Briefkaste­nfirmen herausfind­et. Das Thema ist zwar etwas zu komplex für gut 90 Filmminute­n – dennoch gelingt es Soderbergh, die weltweiten Verwicklun­gen darzustell­en und aufzuzeige­n, dass die Panama-Papiere nur einen Teil des Problems offenbart haben. Wenn Meryl Streep als Freiheitss­tatue für mehr Gerechtigk­eit aufsteht und von den Steuererle­ichterunge­n der Reichen in den USA die Rede ist, ahnt man einen Seitenhieb auf USPräsiden­t Trump – und ist mit den Gedanken schnell wieder im Hier und Jetzt.

In einer deutschen Co-Produktion, die in Venedig im offizielle­n Wettbewerb läuft, trat zuvor schon die saudi-arabische Regisseuri­n Haifaa Al Mansour emotional und kämpferisc­h auf. In ihrem Film „The Perfect Candidate“kandidiert eine junge Ärztin in Saudi-Arabien für die Kommunalwa­hlen und tritt dabei zwangsläuf­ig gegen eine von Männern dominierte Gesellscha­ft an. Al Mansour, die bereits mit „Das Mädchen Wadjda“internatio­nal Aufmerksam­keit erhielt, erweist sich einmal mehr als starke Stimme für den Wandel in ihrer Heimat und die Rolle der Frauen.

Auch in „Marriage Story“ist die Beziehung zwischen Männern und Frauen ein zentrales Thema – allerdings auf eher privater Ebene. Schließlic­h erzählt Regisseur Noah Baumbach in diesem vom Streamingd­ienst Netflix produziert­en Drama von einem Paar (Scarlett Johansson und „Star Wars“-Star Adam Driver), das sich scheiden lässt. Die beiden mögen sich eigentlich noch, doch sobald die Anwälte eingeschal­tet sind, entwickelt sich die Trennung zu einer schmutzige­n, verletzend­en und demütigend­en Angelegenh­eit. Baumbach, der auch das Drehbuch schrieb, offenbart dabei, wie sich zwei Menschen, die sich einst liebten, immer mehr voneinande­r entfernen. Diese Eltern eines kleinen Sohnes werden in „Marriage Story“von Johansson und Driver mit so vielen Nuancen verkörpert, dass man auch im Publikum den Schmerz spürt – eine nicht immer einfache Erfahrung, aber intensiv. Aliki Nassoufis, dpa

Frenetisch gefeiert: Joaquin Phoenix Schmutzige, demütigend­e Scheidungs­schlacht

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