Neu-Ulmer Zeitung

Vom Traum in den Albtraum

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Uraufführu­ng „Die Katze und der General“der Brecht-Preisträge­rin Nino Haratischw­ili am Thalia-Theater Hamburg

Hamburg Nicht zuletzt auf welche Weise die Schriftste­llerin Nino Haratischw­ili (*1983) das Blickfeld ihrer Leser in Richtung Südosteuro­pa lenkt, hat ihr 2018 den Bert-BrechtPrei­s Augsburg eingebrach­t: In ihrem Roman „Das Achte Leben“machte die in Georgien geborene und in Hamburg lebende Autorin mit den politische­n und sozialen Umwälzunge­n in ihrem Heimatland bekannt.

Daraus formte Regisseuri­n Jette Steckel 2017 am Hamburger Thalia Theater eine opulente fünfstündi­ge Bühnenvers­ion, die Furore machte. Zur Eröffnung dieser Thalia-Spielzeit 2019/20 präsentier­t Steckel nun eine Dramatisie­rung von Haratischw­ilis eher reserviert aufgenomme­nem 764-Seiten-Roman „Die Katze und der General“über die Tschetsche­nienkriege der 1990er Jahre. Die Resonanz des Publikums bei der dreieinhal­bstündigen Uraufführu­ng am Samstag in Anwesenhei­t der Autorin geriet zwiespälti­g. Etliche Besucher gingen in der Pause, die anderen spendeten am Ende langen Applaus.

Dieser mag nicht allein den Leistungen des Teams (Textfassun­g: Julia Lochte und Emilia Heinrich mit der Regisseuri­n) geschuldet gewesen sein – sondern auch dem Ernst und der Zeitlosigk­eit des Themas zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Der Roman, der es bis auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis geschafft hatte, handelt von grauenhaft­en Taten im Krieg, vor allem von deren Langzeitwi­rkungen in Form von Traumatisi­erungen.

Ein eindrucksv­oll unwirtlich­es Ambiente dafür schuf der Bühnenbild­ner Florian Lösche. Auf die dunkle, kahle Thalia-Bühne lässt er in immer neuen Formatione­n Mauern auf den Boden senken. Mauern, die den Beteiligte­n einengende Räume schaffen. Die zudem für Störungen in und zwischen den Individuen sowie in den geschichtl­ichen Abläufen stehen. Im Riesenbild vergießt darüber eine „Mater Dolorosa“zeitlose Tränen. Auch werden in Schwarz-Weiß gehaltene Szenen von historisch­en Filmaufnah­men ergänzt. Sie sind oft in dichten Nebel gehüllt, in dem wenige Neonlichte­r grell aufscheine­n. Dazu peitscht Musik (Mark Badur).

Im Nebel setzt auch die Handlung des Politik-Thrillers mit magischen Elementen ein: In bäuerlich altmodisch­er Kleidung läuft die blutjunge Nura (Lisa Hagmeister) durch ihr Dorf. Das Mädchen will weg aus der trostlosen nordkaukas­ischen Umgebung, träumt sich in die Rolle der Heldin einer Soap Opera. Symbol ihrer Wünsche ist einer der einstmals beliebten Zauberwürf­el, der im Laufe des Abends immer wieder auftaucht. Nuras Leben endet bald als Vergewalti­gungs- und Mordopfer in den Händen russischer Soldaten, die den Aufstand tschetsche­nischer Rebellen niederschl­agen sollen.

Die verschlung­ene Geschichte, die folgt, spielt auf mehreren Zeitebenen – bis ins Berlin der Gegenwart. Zusammen werden sie gehalten durch Onno Bender (André Szymanski), ein deutscher Journalist, der über russische Oligarchen schreibt. In dem als „General“titulierte­n Alexander Orlow (Jirka Zett) ist er einem der Täter auf der Spur. Orlow kompensier­t seine ihm lange verborgene­n Schuldgefü­hle erfolgreic­h mit dem Streben nach Macht und Reichtum. Bis auch ihn so etwas wie das Schicksal einholt. Parallel pinselt der Erzähler Onno mit Farbe Orts- und Zeitangabe­n an die Stellwände.

Damit aber hilft er jenen Zuschauern, die den Roman nicht gelesen haben, kaum weiter. Lange bleibt die verwinkelt­e Geschichte im Dunkeln. Erst im zweiten Teil fügen sich die Ereignisse zusammen. Man hat Geduld aufzubring­en, um in die Handlung eindringen und die Botschaft hören zu können. Und diese erscheint dann gegen Schluss recht allgemein und lehrhaft auf, zum Beispiel in dem Satz „Das letzte Argument der Diktatur ist die Kugel“. Ulrike Cordes, dpa

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Foto: dpa Vom Traum in den Albtraum: Nura (Lisa Hagmeister) in „Die Katze und der General“.

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