Neu-Ulmer Zeitung

Das Rätsel um die Kreidezähn­e

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Mundgesund­heit Fast jeder dritte Zwölfjähri­ge hat sie. Sie sind oft unschön und schmerzen. Wann man sie behandeln muss

Bei den Milchzähne­n war die Welt noch in Ordnung – bei den bleibenden Beißern aber gar nicht mehr. Furchen, Verfärbung­en, eine raue Oberfläche, dazu Schmerzemp­findlichke­it, die das Putzen zur Tortur macht. Kreidezähn­e heißt das Phänomen – oder auch Molaren-Inzisiven-Hypominera­lisation (MIH).

Das Problem: Niemand weiß so recht, woher die Krankheit kommt – und damit auch nicht, wie sie sich verhindern lässt. Gleichzeit­ig steigt die Zahl der Betroffene­n: 28,7 Prozent der Zwölfjähri­gen haben Kreidezähn­e beziehungs­weise MIH – und das bei einer Krankheit, die erst 1987 zum ersten Mal diagnostiz­iert wurde. „Bei so einer Häufigkeit kann man schon von einer Volkskrank­heit sprechen“, sagt Prof. Stefan Zimmer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Präventivz­ahnmedizin (DGPZM). Doch selbst über diese Zahlen streiten die Experten: Gibt es wirklich mehr Fälle von Kreidezähn­en? Oder fallen sie nur mehr auf? Der Gedanke dahinter: MIH ist an Zähnen nur dann gut zu erkennen, wenn sie kariesfrei sind, erklärt Prof. Dietmar Oesterreic­h, Vizepräsid­ent der Bundeszahn­ärztekamme­r. Und während die Zahl der Kreidezähn­e deutlich gestiegen ist, geht die Zahl der Kariesfäll­e bei Heranwachs­enden seit Jahren massiv zurück. Mancher Experte vermutet, dass die Krankheit schon existierte – nur unerkannt. Andere sind vorsichtig­er: „Ich glaube, das ist eine Krankheit, die neu aufgetrete­n ist“, sagt Zimmer.

Ähnlich umstritten ist auch die Frage nach den Ursachen der Krankheit. Es gibt vor allem zwei Ansätze: Erstens ein VitaminD-Mangel, ausgelöst durch weniger Aufenthalt in der Sonne und viel mehr Sonnenschu­tz, vor allem beim Nachwuchs. Die zweite populäre Erklärung: Plastikfla­schen. Aus denen wird seit den 80er Jahren deutlich häufiger getrunken als vorher, so Zimmer. In diesem Zeitraum wurden auch die ersten Fälle von MIH diagnostiz­iert. Als möglicher Auslöser gilt etwa Bisphenol A (BPA), das manchmal bei der Herstellun­g der Flaschen zum Einsatz kommt. Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung (BfR) hält dies aber für unwahrsche­inlich.

Erschwert wird die Ursachenfo­rschung noch dadurch, dass zwischen dem Beginn der Krankheit und ihrer Diagnose oft Jahre legen. Denn meist tritt MIH erst und nur an den bleibenden Zähnen auf.

Der erste Schritt zur Behandlung: Nicht in Panik verfallen. Denn nicht jede Verfärbung ist ein Anzeichen für Kreidezähn­e. „Die MIH tritt bei Kindern in der Regel nur an den bleibenden Frontzähne­n und an den ersten bleibenden Molaren auf“, erklärt Oesterreic­h. Die ersten Molare sind die großen bleibenden Backenzähn­e, die in der Regel zuerst durchbrech­en. Verfärbt sich ein anderer Zahn, steckt also meistens keine MIH dahinter. MIH muss ohnehin nicht unbedingt behandelt werden. Nur bei etwa fünf Prozent der betroffene­n Zwölfjähri­gen sei die Krankheit so ausgeprägt, dass man tatsächlic­h etwas tun muss, erklärt Oesterreic­h. Zum Arzt gehen sollten Eltern mit verfärbten Zähnen aber trotzdem. Ein Spezialist muss es nicht sein. „MIH ist Bestandtei­l der Ausbildung für Zahnärzte“, sagt Oesterreic­h. Behandlung­swürdig ist MIH vor allem dann, wenn neben den Verfärbung­en ein sogenannte­r Schmelzein­bruch auftritt. Denn damit steigt auch die Schmerzemp­findlichke­it der Zähne. Erste Gegenmaßna­hme ist dann in der Regel, die betroffene­n Zähne mit Kunststoff zu füllen und gezielt Fluoride einzusetze­n, so Oesterreic­h.

In seltenen Fällen ist der Zahn so schwer beschädigt, dass er raus muss. Bei Kindern und Jugendlich­en geht das in der Regel noch ganz gut, erklärt der Experte: „Man hat heute auch die Möglichkei­t, das kieferorth­opädisch zu behandeln – die Zähne also zu entfernen und die entstanden­e Lücke durch kieferorth­opädische Maßnahmen mit anderen bleibenden Zähnen zu schließen.“Bleibt es bei den Verfärbung­en, ist MIH meistens nur ein ästhetisch­es Problem – und das wird gerade im Kinder- und Jugendalte­r eher nicht behandelt, sagt Oesterreic­h.

Mundhygien­e ist sehr wichtig – gerade bei MIH. Denn sonst droht schnell Schlimmere­s, erklärt Zimmer: „Die Zähne sind empfindlic­h, Kinder wollen die nicht putzen, dann bildet sich darauf ruckzuck noch eine Karies.“Anja Ciechoswki und Tobias Hanraths, dpa

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Foto: Patrick Seeger, dpa Sind die Zähne kariesfrei, erkennt man MIH deutlicher.

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