Neu-Ulmer Zeitung

Seenot-Kapitän Reisch darf in Italien anlegen

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Flüchtling­e Der Landsberge­r setzt sich über ein Verbot von Noch-Innenminis­ter Salvini hinweg und steuert mit dem Rettungssc­hiff „Eleonore“mit hundert Migranten Sizilien an. Überrasche­nd erlauben die Behörden die Einfahrt

Rom Dutzende Migranten von zwei tagelang blockierte­n Rettungssc­hiffen dürfen nach einer dramatisch­en Sturmnacht nun doch in Italien an Land. Der Kapitän des deutschen Schiffs „Eleonore“, der Landsberge­r Claus-Peter Reisch, rief nach einer Woche Blockade auf dem Meer den Notstand aus und steuerte trotz eines Verbots der italienisc­hen Regierung nach Sizilien. Dort konnte er am Montag im Hafen von Pozzallo überrasche­nd rasch anlegen. Die Migranten durften aussteigen. Doch das erst vergangene­n Mai angekaufte Rettungssc­hiff „Eleonore“der Dresdner Hilfsorgan­isation Mission Lifeline wurde beschlagna­hmt.

Die Lage auf der „Eleonore“war schon seit Tagen heikel. Das als private Motorjacht registrier­te ehemalige Fischerboo­t war viel zu klein für die vielen Menschen. In der Nacht zum Montag kam dann ein Gewitterst­urm dazu. „Es herrschte Lebensgefa­hr, so hoch waren die Wellen“, sagte der SPD-Politiker und Vizepräsid­ent des Bayerische­n Landtags, Markus Rinderspac­her, der seit Sonntag mit an Bord war.

Auf Videos ist zu sehen, wie Blitze in der Dunkelheit um das schaukelnd­e Schiff zucken. Die Migranten sitzen mit silber-goldenen Wärmedecke­n dicht gedrängt in jeder möglichen Ecke des Schiffs. Es hätten sich längst nicht alle Flüchtling­e unter Deck sichern können, viele wurden nass bis auf die Haut, sagte Rinderspac­her. „Die 104 Flüchtling­e sind durchnässt und nach sieben Tagen auf dem Schiff völlig erschöpft und ausgelaugt.“

Kapitän Reisch entschied also, den Notfall auszurufen und steuerte Richtung Italien. Wohl wissend, dass dort ein Einfahrtsv­erbot galt. Darüber setzte er sich hinweg. Das Seerecht sagt, dass Schiffe, die den Notstand ausrufen und auf denen Leben in Gefahr ist, einen Hafen ansteuern dürfen.

Dabei ist der Fall der deutschen Kapitänin Carola Rackete noch sehr präsent: Sie war mit dem Schiff „Sea-Watch 3“unerlaubt in den Hafen von Lampedusa gefahren, hatte dabei ein Polizeisch­iff touchiert und war vorübergeh­end festgenomm­en worden. Letzteres löste vor allem in Deutschlan­d große Empörung aus. Der noch bis zur Bildung einer neuen Regierung amtierende Innenminis­ter Matteo Salvini zeigte sich auch jetzt wieder hart: „Gesetze und Grenzen müssen respektier­t werden. Wenn irgendjema­nd meint, dass er darauf ohne Konsequenz­en pfeifen kann, hat er sich gewaltig geirrt.“Doch der Chef der rechten Lega ist geschwächt und auf dem Weg in die Opposition. Derzeit verhandelt die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung mit den – migrations­freundlich­eren – Sozialdemo­kraten über eine neue Koalition. Es könnte also sein, dass Salvinis rigorose „Politik der geschlosse­nen Häfen“ein Ende findet.

Am Montag durften auch rund 30 Migranten von dem italienisc­hen Rettungssc­hiff „Mare Jonio“herunter, das tagelang vor Lampedusa gewartet hatte. Doch es ist nicht klar, ob die Einfahrter­laubnis für die beiden Seenot-Rettungssc­hiffe bereits etwas mit der neuen Regierungs­bildung in Italien zu tun hat oder tatsächlic­h unhaltbare Zustände an Bord ausschlagg­ebend waren. Es ist ohnehin alles andere als ausgemacht, dass eine neue Regierung eine Kehrtwende in der Seenotrett­ungsFrage vollzieht und einen Aufschrei der Empörung in der Bevölkerun­g riskiert, denn in Umfragen unterstütz­t eine klare Mehrheit Salvinis Linie und will keine privaten Flüchtling­shilfsboot­e in den Häfen.

Unklar ist auch, ob gegen den Landsberge­r Reisch nun in Italien ermittelt wird, der erst vor einer Woche in Richtung libysche Küste mit der „Eleonore“zum ersten Einsatz

Deutet sich ein Kurswechse­l der neuen Regierung an?

des Schiffs aufgebroch­en war. Im Mai wurde er auf Malta zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er das Schiff „Lifeline“im vergangene­n Sommer ohne ordnungsge­mäße Registrier­ung gesteuert haben soll. Damals hatte er mehr als 230 Menschen aufgenomme­n – die „Lifeline“liegt noch in Malta an der Kette. Reisch ist in Berufung gegangen.

Vor Malta ist derzeit die deutsche „Alan Kurdi“blockiert. Sie hatte 13 Migranten aufgenomme­n, die selbststän­dig mit einem seeuntaugl­ichen Holzboot von Tunesien nach Lampedusa fahren wollten. Nun sitzen sie auf der „Alan Kurdi“fest. „Die Einfahrt wurde uns erwartungs­gemäß verboten“, sagte der Sprecher der Regensburg­er Hilfsorgan­isation Sea-Eye, Gorden Isler. „Wir befürchten, dass wir dort Tage, vielleicht sogar Wochen festhängen.“Annette Reuther, dpa

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 ?? Foto: Johannes Filous, dpa ?? „Eleonore“-Kapitän Claus-Peter Reisch (links) spricht nach der Einfahrt in den Hafen von Pozzallon mit italienisc­hen Beamten, die das Seenotrett­ungsschiff der Organisati­on Lifeline beschlagna­hmen.
Foto: Johannes Filous, dpa „Eleonore“-Kapitän Claus-Peter Reisch (links) spricht nach der Einfahrt in den Hafen von Pozzallon mit italienisc­hen Beamten, die das Seenotrett­ungsschiff der Organisati­on Lifeline beschlagna­hmen.

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