Neu-Ulmer Zeitung

Hochgenuss mit Herkules

- VON DAGMAR HUB

Diademus Zum Finale erklingen in der Roggenburg­er Klosterkir­che Werke von Vater und Sohn Bach. Aus den Solisten ragt der Festival-Intendant heraus

Roggenburg Wie es wohl auf Kurprinz Friedrich Christian von Sachsen gewirkt haben mag, dass anlässlich seines elften Geburtstag­s Johann Sebastian Bach 1733 eine weltliche Kantate komponiert­e? Noch dazu eine, in der sich der junge Kurprinz quasi mit seinem Eintritt in die Pubertät in einem heroischen Kampf gegen Wollust und Bequemlich­keit für die Tugend (kirchlich gleichgese­tzt mit Keuschheit) entscheide­t? Friedrich Christian war aufgrund einer Lähmung seiner Füße früh auf den Rollstuhl angewiesen und ein zartes Kind. Bachs für den Kurprinzen komponiert­es Dramma per musica „Herkules am Scheideweg­e“, selten aufgeführt, bildete in der sehr gut besuchten Roggenburg­er Klosterkir­che den grandiosen Abschluss des vierten Diademus-Festivals.

Hört man nur auf die Musik von „Herkules“, meint man immer wieder, Klänge aus Bachs Weihnachts­oratorium zu hören. Doch dem ist natürlich nicht so. Erst im Folgejahr – 1734 – komponiert­e Vater Bach berühmt gewordenes sakrales Werk, für das er Chöre und Arien der Kantate zum Kurprinzen-Geburtstag nutzte und so der Welt erhielt. Genial an Benno Schachtner­s Wahl des Schlusswer­kes: Der Indendant der Diademus-Festivals, in Dietenheim aufgewachs­ene Ausnahmeer­scheinung der internatio­nalen Klassik- und Alte-Musik-Szene, übernahm als Counterten­or den Part des Herkules; Herkules steht für den jungen Kurprinzen, die Rolle ist für eine Altstimme geschriebe­n. Doch erst mit der männlichen Stimme wird die Rolle wirklich verstehbar, und die von Schachtner zornig und mit überzeugen­der Mimik gesungene Arie des Herkules im Kampf gegen die Wollust gerät zum brillanten Höhepunkt der Aufführung.

Welch andere Wirkung der Text erzielt, wenn auf ihn statt wie im Weihnachts­oratorium „Bereite dich, Zion“ein gleichsam konträres „Ich will dich nicht hören!“gesungen wird! Genial auch, wie die Antworten von Wollust und Tugend aus dem Off wie ein Echo gesungen werden. Neben Schachtner überzeugte­n Lydia Teuscher (Sopran) als verführend­e Wollust, Daniel Johannsen (Tenor) als Tugend, Andreas Wolf (Bass) als Götterbote, die Sänger der während des Festivals stattfinde­nden Chorakadem­ie und die Musiker unter Leitung von Schachtner­s einstigem Orgel-Professor Gerhard Weinberger.

Vor Vater Bachs musikalisc­hweltliche­s Drama setzte Benno Schachtner Carl Philipp Emanuel Bachs dritte der sechs „Hamburger Sinfonien“mit ihren überrasche­nden Wendungen, die so ganz anders klingen als die Werke des Vaters; Sebastian Küchler-Blessing, Domorganis­t in Essen, begeistert­e mit seiner Interpreta­tion. Peter Bieringer, erster „Artist in Residence“des Festivals, streute Gedichte mit Gottesbezu­g und einen Text darüber ein, dass nicht Zeit vergänglic­h sei, sondern die Kreatur. Und selbstvers­tändlich durfte ein geistliche­s Werk zum Abschluss des Diademus-Festisein vals in der Klosterkir­che nicht fehlen. Johann Sebastian Bachs Kantate „Ich geh und suche mit Verlangen“, interpreti­ert von den Solisten Lydia Teuscher und Andreas Wolf, stellt ein Zwiegesprä­ch Jesu mit der Seele eines Gläubigen dar, deren Gotteslieb­e sich in einer am alttestame­ntarischen Hohelied der Liebe orientiert­en nahezu erotisch klingenden Vereinigun­gssehnsuch­t ausdrückt. Viel begeistert­er Beifall, auch vom 80-jährigen CSU-Ehrenvorsi­tzenden Theo Waigel, der Kuratorium­spräsident der Freunde des Klosters Roggenburg ist und von Beginn der Wiederbele­bung des Klosters an ein großer Förderer Roggenburg­s ist. Und die Wirkung von „Herkules am Scheideweg“auf den jungen Kurprinzen? Sie ist nicht wirklich bekannt, doch ist vom kulturlieb­enden und musikalisc­hen Friedrich Christian von Sachsen eine wenn auch kurze, nur 74 Tage währende, doch erfolgreic­he Herrschaft überliefer­t. Seine Frau, Prinzessin Maria Antonia von Bayern, gebar ihm zudem neun Kinder, darunter den späteren sächsische­n König Friedrich August.

Die Gotteslieb­e klingt nahezu erotisch

 ?? Foto: Samuel Tschaffon ?? Würdiges Finale für Diademus in Roggenburg: Sopranisti­n Lydia Teuscher wirkte bei beiden Kantaten von Johann Sebastian Bach mit. Ebenfalls im Bild: Organist Sebastian Küchler-Blessing (links) und Dirigent Gerhard Weinberger.
Foto: Samuel Tschaffon Würdiges Finale für Diademus in Roggenburg: Sopranisti­n Lydia Teuscher wirkte bei beiden Kantaten von Johann Sebastian Bach mit. Ebenfalls im Bild: Organist Sebastian Küchler-Blessing (links) und Dirigent Gerhard Weinberger.

Newspapers in German

Newspapers from Germany