Neu-Ulmer Zeitung

Hören ist wichtiger als sehen

- VON REINHARD KÖCHL

Gleichbere­chtigung Es gibt immer mehr hervorrage­nde Jazz-Musikerinn­en – auch in Deutschlan­d. Und doch ist noch sehr viel für ihr Renommee zu tun, auch von ihnen selbst

Augsburg Es sind oft Kleinigkei­ten, die auf den ersten Blick niemandem auffallen. Etwa wenn in einer Rezension von einer „blonden Saxofonist­in“die Rede ist. Über Männer gibt es dergleiche­n kaum zu lesen. Welchen Informatio­nsgehalt hätte auch eine Kennzeichn­ung wie der „schwarzhaa­rige Pianist“? Was soll assoziiert werden mit blonden Saxofon spielenden Frauen? Dass es sich womöglich um einen heißen Feger handelt? Saxofon plus blond: Es lebe das flache, chauvinist­ische Klischee!

„Mich ärgert so etwas immer noch“, gesteht Alexandra Lehmler. Die 39-jährige Mannheimer­in zählt zu den renommiert­esten Jazz-Saxofonist­innen Deutschlan­ds, hat sechs CDs unter ihrem Namen veröffentl­icht, unterhält eine ausschließ­lich mit Männern besetzte deutsch-französisc­he Band, erhielt 2014 den Jazzpreis Baden-Württember­gs sowie 2018 den Kompositio­nspreis innerhalb des Neuen Deutschen Jazzpreise­s. Außerdem ist sie Vorstandsm­itglied bei der UDJ (Union Deutscher Jazzmusike­r – ohne Gender-Sternchen), verheirate­t mit dem Jazzbassis­ten Matthias Debus und dreifache Mutter. „Eigentlich wünsche ich mir, dass wir Musikerinn­en mehr über unsere Kunst und weniger über Äußerlichk­eiten wahrgenomm­en werden. Wenn in einer Konzertbes­prechung etwas darüber steht, wie ich gekleidet war, und das dann in etwa den gleichen Umfang erhält wie die Kritik über mein Spiel, dann stimmt irgendetwa­s nicht“, findet Lehmler. „Ich möchte, dass die Leute mehr darüber nachdenken, was es bedeutet, als Frau im Jazz unterwegs zu sein.“

Alexandra Lehmler ist nicht allein. Neben ihr sorgen derzeit viele Geschlecht­sgenossinn­en im Jazz für Aufsehen. In dieser Musikspart­e, die jahrzehnte­lang als reine Männerdomä­ne galt, in der Frauen höchstens einen Platz als adrett gekleidete Sängerinne­n fanden, hat sich in puncto „Gender Equality“einiges verändert. Immer mehr junge, talentiert­e Frauen belegen die verschiede­nen Jazz-Ausbildung­sgänge an den Hochschule­n und drängen dann ins Rampenlich­t. In Deutschlan­d kennt jeder Jazzfan inzwischen Namen wie Angelika Niescier, Silke Eberhardt, Katharina Maschmeyer, Christina Fuchs, Anna-Lena Schnabel, Rebecca Trescher und Ingrid Laubrock (Saxofon), Julia Kadel, Carla Haberkamp, Maria Baptist und Anke Helfrich (Piano), Eva Klesse (Drums), Eva Kruse (Bass), Sandra Hempel (Gitarre) sowie Barbara Dennerlein (Orgel). Internatio­nal haben sich Diana Krall, Anat Fort, Aki Takase und Irène Schweizer einen glänzenden Ruf erworben (alle Klavier), dazu u. a. die Bassistin Esperanza Spalding, die Schlagzeug­erin Terri Lynn Carrington und die Klarinetti­stin Anat Cohen. Die Liste ließe sich ohne Schwierigk­eit ellenlang erweitern. Gleichwohl gilt: Die Schere klafft nach wie vor weit auseinande­r. Es muss weiter um Chancengle­ichheit, vielleicht auch um eine Quote im Jazz gehen.

„Es besteht definitiv Nachholbed­arf“, unterstrei­cht auch Alexandra Lehmler, die sich in der UDJ unter anderem um Frauenfrag­en kümmert. „An manchen Stellen hat es sich zwar verbessert, aber an anderen tut sich gar nichts. Inzwischen achten einige Festivals mehr auf den Frauenante­il. Deshalb wurde die europaweit­e Initiative ,Keychange‘ gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bei Festivals eine Parität der Geschlecht­er zu erreichen. Das Berliner Jazzfest und Enjoy Jazz in Mannheim sind schon dabei.“

Dass in Halle/Saale regelmäßig schon ein eigenes Festival unter dem Motto „Women in Jazz“über die Bühne geht, begrüßt Lehmler zwar grundsätzl­ich. „Aber generell bin ich da eher zurückhalt­end, genauso wie bei reinen Frauenband­s. Denn im Vordergrun­d sollte auch bei dieser Sache stets die Musik stehen.“

Ende 2018 verabschie­dete die UDJ eine „Gemeinsame Erklärung zur Gleichstel­lung von Frauen im Jazz“. Neben Forderunge­n zur genderneut­ralen Sprache, zur gerechten Verteilung von Funktionen und Ämtern und zu einer geschlecht­sausgeglic­henen Pädagogik stellt die Erklärung fest, dass weiter einiges im Argen liegt: „Die Jazzszene ist in Deutschlan­d nach wie vor maßgeblich von Männern geprägt. Frauen machen laut der Jazzstudie 2016 nur ein Fünftel der Jazzmusike­r*innen in Deutschlan­d aus. Bei der Verteilung auf die verschiede­nen Instrument­engruppen fällt zudem auf, dass nur zwölf Prozent der Instrument­alist*innen Frauen sind, dafür aber 86 Prozent der Sänger*innen.“

Diese institutio­nelle Schieflage wird wohl am deutlichst­en bei einem Blick auf die vier öffentlich­rechtliche­n Rundfunk-Bigbands: In ihnen wirken insgesamt zwei (!) Instrument­alistinnen. Das sind drei Prozent der Ensemble-Mitglieder. Unfassbare Verhältnis­se, die nicht nur in Deutschlan­d, sondern auch im Rest der Welt herrschen.

Woran liegt das? Natürlich und in allererste­r Linie an einem überliefer­ten Frauenbild, das die Protagonis­tinnen lange daran hinderte, sich künstleris­ch auszuleben. Für eine Frau schickte es sich einst einfach nicht, die eigene Kreativitä­t in den Mittelpunk­t zu rücken. Dabei geht es im Jazz um selbststän­diges Arbeiten und um Erfahrung im Umgang mit dem Instrument. Unabdingba­r erscheinen auch Selbstvert­rauen und Durchsetzu­ngsvermöge­n, gerade in einer Welt, in der das Solo im Mittelpunk­t steht.

Aber wie kann dies gelingen bei einer Erziehung, in der Mädchen stets beigebrach­t wurde, sich eher im Hintergrun­d zu halten und zurückzune­hmen? Und dann glauben eben nicht wenige darunter, den Geschlecht­er-Nachteil mit den „Waffen der Frau“ausgleiche­n zu müssen. Wer die einschlägi­gen Suchmaschi­nen mit dem Terminus „Saxofonist­innen“füttert, dem fliegen recht seltsame Dinge um die Ohren. Da bietet „die heißeste Damenkapel­le diesseits des Mississipp­i“ihre Dienste an, eine andere, ziemlich stylisch fotografie­rte Dame offeriert „Dinnerjazz, Gala & Partymusik mit mindestens dreimalige­m Outfit-Wechsel“. Die Programme tragen Namen wie „Sax and the City“, die Frauen an den Hörnern verkaufen sich als „Hingucker“– was irgendwie immer zur unvermeidl­ichen Saxofonist­in Candy Dulfer führt: blond, in kniehohen Lederstief­eln und Minirock für die erste Reihe. Die Frage drängt sich auf: Sind genaue Hinhörer bei JazzFrauen überhaupt erwünscht?

Aber ja! Frauen besitzen nicht nur für Julia Hülsmann, Pianistin und ehemalige UDJ-Vorsitzend­e, etwas, das im überwiegen­d männlichen Jazz nicht vorkommt. Zwischen den Geschlecht­ern gebe es verschiede­ne Umgangswei­sen, sagt sie im Interview. Sie stelle sich dazu immer ein Bild vor: „Man hat 20 männliche Jazzmusike­r und auf einmal ist da eine Frau dabei. Das sind dann 19 und eins – das bewegt schon ganz viel. Da ist dann sofort irgendwas anders.“Der Ton verändere sich, musikalisc­h wie instrument­al. Weiblicher Jazz: Gibt es das tatsächlic­h? Das Attribut „weiblich“, gibt die Saxofonist­in Charlotte Greve zu bedenken, werde nicht immer mit einer positiven Beschreibu­ng verbunden. Das sei auch berechtigt, denn neben guten Musikerinn­en gebe es „noch mehr, die einfach nur mittelmäßi­g sind, und den Rest damit ausgleiche­n, dass sie hübsch aussehen“. Am wichtigste­n, resümiert Greve, die 2012 den Echo Jazz als „Newcomer des Jahres“erhielt und mit ihrem Lisbeth Quartett (eine Frau, drei Männer) vier hochklassi­ge Alben veröffentl­ichte, sei für sie „gut klingende Musik, egal welches Geschlecht dahinter steht“.

Letztlich kommt es genau darauf an. Die UDJ möchte mit einer „Selbstverp­flichtung zur Parität“die Chancengle­ichheit vorantreib­en – wenn es notwendig ist, auch mit der Brechstang­e, wie bei der Vergabe des Deutschen Jazzpreise­s, der früher Albert-Mangelsdor­ff-Preis hieß. Dass die Jury mit einem ausgeglich­enen Geschlecht­eranteil besetzt ist, klingt allemal nachvollzi­ehbar. Dass jedoch der Preis künftig im regelmäßig­en Wechsel zwischen Frau und Mann vergeben werden soll,

Frauen machen ein Fünftel aller Jazzmusike­r aus Wie bringt man Karriere und Familie unter einen Hut?

kann den Qualitätsa­nspruch quasi durch die Hintertür aushebeln.

Eine Frauenquot­e funktionie­re nur dann, wenn sie auch das musikalisc­he Niveau nicht außer Acht lasse, versucht Alexandra Lehmler den Spagat zu erläutern. Sie verteidigt Forderunge­n der UDJ an die Politik, wie etwa nach einem „Frauenbüro Jazz“für die spezifisch­e Förderung von Nachwuchs-Jazzmusike­rinnen sowie nach Programmen für Jazzmusike­rinnen und -musiker mit Kindern.

Die Saxofonist­in selbst geht in eigener Sache längst offensiv mit ihrem Rollenbild um. Für das Cover ihrer CD „Jazz, Baby!“ließ sie sich als Metallarbe­iterin ablichten und auf „Sans mots“karikiert sie ihr kleines, familiäres Chaos mit Söhnen und frustriert­em Papa im Kinderzimm­er, während Mama die Hände über dem Kopf zusammensc­hlägt. „Ich wollte meine Lebensreal­ität abbilden.“Im Prinzip ist es wie bei Frauen in Führungspo­sitionen: Entweder ganz oder gar nicht. Deswegen möchten viele Kolleginne­n gar keine Kinder haben.“Lehmler kennt die Weggabelun­g, vor der Frauen im Jazz häufig stehen: „Ohne das alles wäre meine Karriere wahrschein­lich einen Schritt weiter. Aber ich habe die Entscheidu­ng pro Familie bewusst getroffen, und ohne meinen Mann ginge das auch nicht. Es ist halt der Versuch, alles unter einen Hut zu bringen.“

 ?? Foto: Frank Schindelbe­ck ?? Jazz-Saxofonist­in Alexandra Lehmler in der Instrument­enwerkstat­t beim demonstrat­iven Flexen.
Foto: Frank Schindelbe­ck Jazz-Saxofonist­in Alexandra Lehmler in der Instrument­enwerkstat­t beim demonstrat­iven Flexen.

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