Meister der Manipulation
Lewinsky schickt den Leser in die Grauzone
„Ich kann dir alles verzeihen, nur nicht, dass du stotterst“, sagt eine der alten Frauen, die „Der Stotterer“in Charles Lewinskys gleichnamigem Roman mit dem Enkeltrick hereingelegt hat. „Von einem Stotterer kann man nicht träumen“, resümiert der Mann, der in diesem Buch sein Leben erzählt. Dieser Johannes Hosea Stärckle kann zwar keinen Satz ohne zu stocken aussprechen, dafür fließen ihm die Worte beim Schreiben geradezu aus der Feder. Der Stotterer leidet an Schreib-Logorrhoe. Er schreibt nicht nur sein Leben auf – in Briefen an den „Padre“, wie er den Gefängnispriester nennt, und in einer Art Tagebuch. Nein, er erfindet auch Geschichten als eine Art „Fingerübung“und beteiligt sich an einem Schreibwettbewerb. So erfolgreich, dass er zum Bestseller-Autor werden könnte. Wobei auch diese Karriere einer großen Intrige zu verdanken ist, denn der Stotterer ist ein Meister der Manipulation, der die Macht des Wortes für seine Zwecke zu nutzen weiß. Er spielt mit dem Padre, und Lewinsky spielt mit den Lesern, die er in ein literarisches Labyrinth schickt, in eine Grauzone zwischen Dichtung und Wahrheit. Alles Fake also? Aber immerhin „Erfindungen von bester handgefertigter Qualität“. Was Hosea Stärckle über seine Enkelbriefe schreibt, gilt für den ganzen Roman. Beste handwerkliche Qualität, aber doch zu ausufernd, zu viel der Zumutungen: womöglich ein leichter Fall von Schreib-Logorrhoe?
Diogenes, 410 S. , 24 Euro