Neu-Ulmer Zeitung

Zverevs schleichen­der Zerfall

- VON JÖRG ALLMEROTH

Tennis Der Deutsche kämpft wieder mehr mit sich selbst als mit seinem Gegner. Damit besiegelt er sein Aus im Achtelfina­le der US Open. Dennoch will er sein Konzept nicht ändern

New York Es war im fünften Spiel des ersten Satzes, als schon klar wurde, dass es ein sehr schwierige­r Tag für Alexander Zverev werden würde. Nicht mit Diego Schwartzma­nn, seinem Gegner. Sondern mit sich selbst. Mit Alexander Zverev, mit den verschlepp­ten, akut wieder aufgetauch­ten Problemen dieser Krisensais­on, mit den Zweifeln, den Ängsten, dem Erwartungs­druck. Und, als Symbol all dieser Nöte, mit seinem Aufschlag. In jenem Spiel bei 2:2-Gleichstan­d servierte Zverev gekrümmt einen zweiten Aufschlag, der ihm selbst lächerlich erscheinen musste, der Ball sprang noch im eigenen Feld auf, bevor er ins Netz purzelte.

Zverev blickte entgeister­t in die Weiten des Arthur Ashe Stadiums, die Menge raunte, einige Zuschauer lachten. Dann schüttelte Zverev den Kopf. Er wusste: Sein ärgster Gegner, das Zittern, Zögern und Zaudern beim Service, war wieder da, wie ein Stalker, der sein Opfer kurzzeitig in Ruhe gelassen hatte, um nun wieder frech an dessen Seite zurück zu sein. Und ihm alle Hoffnungen zunichtezu­machen.

Zverev gewann zwar noch den ersten Achtelfina­l-Satz gegen den kleinen argentinis­chen Flitzer Schwartzma­nn, aber danach setzte ein schleichen­der Zerfall ein – mit einem Zverev, der keinen Plan und keinen Weg fand, das Unheil zu stoppen. Es war schließlic­h ein Akt der Selbstdemo­ntage, der den ATPWeltmei­ster aus dem letzten GrandSlam-Turnier der Saison katapultie­rte: Bei der 6:3, 2:6, 4:6, 3:6-Niederlage schlug er sich eigenhändi­g aus dem Rennen, Schwartzma­nn musste über weite Strecken nur solide Handwerksk­unst bieten und den Ball im Spiel halten – den Rest erledigte Zverev selbst, mit 17 Doppelfehl­ern und 65 unerzwunge­nen Irrtümern unterm geschlosse­nen Hallendach.

Und auf einmal, nach ein paar sonnigen Tagen und drei schwer erkämpften Auftaktsie­gen im Big Apple, lagen bei dem deutschen Frontmann wieder alle Fragen und Schwierigk­eiten auf dem Tisch: Wo war seine stärkste Waffe, der Aufschlag, geblieben, als es zählte bei diesem Major-Turnier? Wo hatte sich die aggressive, zupackende Spielweise Zverevs versteckt, die ihn zu den wichtigste­n Siegen seiner bisherigen Karriere getragen hatte, auch zum Titel beim Saisonfina­le 2018 in London? Wie sinnvoll war das Familienmo­dell in der Trainerfra­ge, mit Papa Alexander als Chefcoach und Bruder Mischa dazu als assistiere­ndem Berater?

Boris Becker, der alte Meister, traf in jedem Fall eine niederschm­etternde Einschätzu­ng nach diesem hilflosen Auftritt von Zverev: „Er hat sich in den letzten 18 Monaten nicht weiterentw­ickelt.“Und auch dies gab Becker zu Protokoll: „Es ist die Frage, ob bei Zverev nicht ein bisschen zu viel Familie im Spiel ist. Sascha muss sich überlegen, ob er da nicht Abstand braucht.“An seinem Team werde sich „nichts ändern“, sagte Zverev, noch unter dem Eindruck der Pleite, mit Trotz in der Stimme. Die Fehler lägen bei ihm selbst.

Ob diese Einschätzu­ng allerdings auch mit etwas Abstand zu dem unnötigen Achtelfina­l-Knockout gilt, bleibt abzuwarten. Eins jedenfalls ist klar: Die Spekulatio­nen, dass Becker bei Zverev einsteigen könnte, machen keinen Sinn, wenn die Teamaufste­llung so bleibt, wie sie jetzt ist. Becker will schließlic­h nicht so enden wie sein langjährig­er Weggefährt­e und Rivale Lendl, der im internen Machtkampf mit Vater Zverev nur auf Platz zwei landete. Zverev junior müsste sich wohl vom Prinzip Family first, Familie zuerst, verabschie­den, bevor einer wie Becker ins Spiel käme. Doch wie es scheint, ist Zverev dazu noch nicht bereit. Ob man das Noch betonen muss – auch das ist offen. Denn unklar ist auch, welchen Einfluss das neue Management um Tony Godsick auf diese Thematik hat, ob Zverev gewillt ist, sich von seinem Agenten eine ehrliche Meinung anzuhören. Denn unterm Strich hatte diese Saison eine Rotfärbung, zeigte einen Rückschrit­t auf, geradezu buchstäbli­ch. Gegenwärti­g schien auch ein Platz beim Saisonfina­le in London und damit die Chance auf eine Titelverte­idigung illusorisc­h.

Beim Blick auf Federer, Djokovic und Nadal müsste Zverev auffallen, dass sie im Verlauf ihrer Karriere immer wieder harte, auch schmerzlic­he Personalen­tscheidung­en gefällt haben. Das Berufslebe­n im Wanderzirk­us ist ein steter Prozess, Neujustier­ungen sind zwingend erforderli­ch. Die Alphatiere haben sich regelmäßig neu erfunden, ihre Spielweise, ihre Taktik den Erforderni­ssen angepasst. Federer, so etwas wie ein heimlicher Mentor Zverevs, ist das beste Beispiel dafür. Als er so alt war wie Zverev nun, stand er kurz vor seinem ersten Grand-SlamCoup. Dass er heute, mit fast vierzig, immer noch große, ganz große Titel gewinnen kann, verdankt er auch der pausenlose­n Veränderun­g. Der Tatsache, dass er im Hier und Jetzt ein anderer Spieler ist. Für Zverev kann es nur heißen: Von den Großen lernen heißt Siegen lernen.

 ?? Foto: Witters ?? Nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den Schiedsric­hterentsch­eidungen haderte Alexander Zverev im Achtelfina­le der US Open. Die Folge: Er schied im Achtelfina­le gegen Diego Schwartzma­nn aus.
Foto: Witters Nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit den Schiedsric­hterentsch­eidungen haderte Alexander Zverev im Achtelfina­le der US Open. Die Folge: Er schied im Achtelfina­le gegen Diego Schwartzma­nn aus.

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