Neu-Ulmer Zeitung

Mehr tote Vögel für mehr Windräder?

- VON CHRISTIAN GRIMM

Energiewen­de Hierzuland­e werden kaum noch neue Windkrafta­nlagen aufgestell­t. Die Energiewir­tschaft schlägt vor einem Treffen mit Peter Altmaier eine radikale Maßnahme vor

Berlin Not macht erfinderis­ch. Weil der Ausbau an Windrädern an Land zum Stillstand gekommen ist, fordern die Verbände der Energiewir­tschaft vor dem sogenannte­n Windgipfel mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) am Donnerstag die Aufweichun­g des Artenschut­zes. Damit das Klima geschützt werden könne, sollen die Behörden beim Schutz von Vögeln und Fledermäus­en nicht mehr ganz so genau hinschauen.

Der Paragraf 45 des Bundesnatu­rschutzges­etzes soll nach den Vorstellun­gen der Wind-Lobby dergestalt geändert werden, „dass am Ausbau von Windenergi­eanlagen ein überwiegen­des Interesse besteht“, heißt es in ihren zehn Forderunge­n an den Minister. Dieser Vorrang soll „Ausnahmen vom Artenschut­z unter klar definierte­n Voraussetz­ungen“rechtferti­gen. Mitgetrage­n wird der Vorstoß ausdrückli­ch von den Umweltschü­tzern von Greenpeace, dem WWF und der Deutschen Umwelthilf­e.

Die Windkraftg­egner haben mit dem Schutz von Rotmilan, Bussard und dem Kleinen Abendsegle­r ein wirksames Instrument gefunden, um den Bau neuer Windräder zu stoppen. Dass die Rotoren für die Tiere tödlich sind, hat bereits eine Studie des Prognose-Instituts aus dem Jahr 2015 offenbart. Allein in Norddeutsc­hland sterben pro Jahr 8000 Mäusebussa­rde, 12000 Stockenten und 11000 Möwen durch Schlagverl­etzungen.

Der Naturschut­z macht dem Klimaschut­z schwer zu schaffen. Aus der Windbranch­e wird berichtet, dass mittlerwei­le beinahe jede Genehmigun­g für den Bau von Windrädern beklagt wird. Die Behörden hat die Klagewelle eingeschüc­htert. „Die Dauer von Genehmigun­gen hat dramatisch zugenommen – von 300 auf 900 Tage“, sagt die Chefin des Windparkbe­treibers Enercity, Susanna Zapreva. Das hat Folgen für den Zubau. Im ersten Halbjahr wurden in Deutschlan­d nur 86 Windräder errichtet. Das waren die schwächste­n ersten sechs Monate seit dem Jahr 2000. Zum Vergleich: In der ganzen Republik drehen sich 30000. Vor allem der Süden ist zur windradfre­ien Zone geworden. In Bayern kam keine neue Turbine hinzu, in Baden-Württember­g waren es drei. Wegen der Dramatik der Erderwärmu­ng müssten aber eigentlich viel mehr Windräder gebaut werden, um den Ausstoß von Kohlendiox­id zu senken. Schon 2030 sollen 65 Prozent des Stroms aus sauberen Quellen stammen. Aktuell sind es 40 Prozent. Doch derzeit, so scheint es, steigt die Bundesrepu­blik schneller aus der Windkraft aus als aus der Kohle.

Katherina Reiche ist Chefin des Stadtwerke­verbandes VKU und sich bewusst, wie delikat die Forderung ist, den Vogelschut­z zu lockern. Früher war sie Staatssekr­etärin im Umweltmini­sterium. Sie wolle den Artenschut­z nicht gegen Klimaschut­z ausspielen. Irgendwann folgt dann ein Aber oder ein Dennoch und Reiche relativier­t ihre Aussagen. „Die Genehmigun­gszeiträum­e müssen verkürzt werden“, verlangt die CDU-Politikeri­n.

Unzufriede­n ist sie mit der Lage im Süden – und dort vor allem in Bayern. Seit dort eine verschärft­e Abstandsre­gelung zwischen Windrädern und Siedlungen gilt, ist die Windkraft tot. Die VKU-Chefin spricht von einem „Stoppschil­d“und verlangt „mehr Flächenpot­enzial“im Freistaat. In der von Ministerpr­äsident Markus Söder ausgerufen­en grünen Wende der CSU wird die Windkraft immer noch sehr klein geschriebe­n. Zu groß ist die Furcht vor gut organisier­ten Bürgerinit­iativen, die den Bürgermeis­tern das Leben schwer machen.

Nur zwei Woche bevor die Bundesregi­erung richtungsw­eisende Beschlüsse für Klimaschut­z und Energiever­sorgung treffen will, steckt das Land in einer misslichen Lage. Der Ausbau von Windrädern an Land als Lastesel der Energiewen­de stockt genauso wie der Bau neuer Stromleitu­ngen. Ohne einen Fortschrit­t ist das Abschalten von Kohlekraft­werken jedoch Makulatur und damit das ehrgeizige Ziel, bis Mitte des Jahrhunder­ts praktisch keine Klimagase mehr in die Luft zu blasen. Die Aufgabe ist groß. Altmaier hat zwei Stunden für den Gipfel eingeplant.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Um den Bau von Windrädern tobt seit jeher ein Streit: Denn die Rotorblätt­er töten nachweisli­ch Vögel. Das verärgert Naturschüt­zer.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Um den Bau von Windrädern tobt seit jeher ein Streit: Denn die Rotorblätt­er töten nachweisli­ch Vögel. Das verärgert Naturschüt­zer.

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