Neu-Ulmer Zeitung

Wie gerecht ist unsere Gesellscha­ft?

- VON JENS CARSTEN

Sozialstaa­t Die SPD-Bundestags­fraktion diskutiert in Illertisse­n mit Bürgern. Vielen gehen die Konzepte nicht weit genug

Illertisse­n Wie sieht eine gerechte Gesellscha­ft aus – und wie können alle Generation­en möglichst gut zusammenle­ben: Um diese Fragen ging es bei einer Diskussion über den Sozialstaa­t, zu der die Bundestags­fraktion der SPD in Illertisse­n eingeladen hatte. Vor rund 50 Besuchern skizzierte­n die Abgeordnet­en Karl-Heinz Brunner und Bernd Rützel (Wahlkreis Main-Spessart) ihre Visionen. Sie stellten die Konzepte der Bundes-SPD vor und schilderte­n, was zuletzt umgesetzt wurde. Brunners Fazit: „Da haben wir gar nicht so schlecht abgeschnit­ten.“Im Fokus steht die soziale Sicherheit. Dazu gehören unter anderem bezahlbare Kindertage­sstätten, akzeptable Gehälter und eine gute Betreuung im Alter.

Aus dem Publikum kamen Anmerkunge­n, wonach die politische­n Bemühungen nicht ausreichen­d seien. So sah eine Mutter mit drei Kindern ihre aufopferun­gsvolle Aufgabe wenig wertgeschä­tzt, weder ideologisc­h noch materiell. Sie habe zwar „drei Steuerzahl­er von morgen“groß gezogen, selbst aber deswegen jahrelang allenfalls in Teilzeit arbeiten können. Hohe Abzüge bei der Rente seien ihr gewiss, „eine große Ungerechti­gkeit“. Die Abgeordnet­en hielten das SPD-Konzept der Grundrente entgegen, die „aus Respekt vor der Lebensleis­tung“finanziell­e Aufstockun­gen vorsehe. Angestellt­e mit kleinen Gehältern, Eltern oder pflegende Angehörige könnten so einige Hundert Euro mehr erwarten. „Über die Höhe kann man ja noch diskutiere­n“, räumte Brunner ein. Sein Fraktionsk­ollege Rützel bezeichnet­e die Grundrente als „extrem wichtig“. Sie werde bis zu fünf Millionen Menschen finanziell besserstel­len.

Einer anderen Frau ging das nicht weit genug. Sie kritisiert­e, dass sich mancher Angestellt­e heute ein normales Leben mit Miete und Auto gar nicht aus der eigenen Tasche finanziere­n könne. Ihr Vorschlag: ein Steuerfrei­betrag von 2500 Euro. Ob sich die Abgeordnet­en in Berlin für solch weitreiche­nde Veränderun­gen einsetzen werden, blieb an dem Abend offen.

Von einer drastische­n Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsma­rkt sprach Heidi Sawitzki, die Leiterin eines Seniorenhe­ims in Weißenhorn. Wie andernorts auch würden händeringe­nd Mitarbeite­r gesucht. Wenn ein Bewerber aber keine Wohnung in der Region habe, könne der nicht eingestell­t werden, sagte sie. Entweder finde er nämlich keine Bleibe oder er könne diese nicht bezahlen. Einer ihrer Wünsche an die Politiker: Weitaus längere Betreuungs­zeiten in Kitas. So betreibe eine Firma in der Region eine eigene Einrichtun­g, die in der Zeit von 5 Uhr bis 22 Uhr geöffnet sei. Für Arbeitnehm­er im Schichtmod­ell sei dies notwendig. „Wir können niemanden einstellen, der erst um 8 Uhr morgens anfangen kann“, stellte Sawitzki nüchtern fest. Eine Folge: „Wir nehmen jeden, von dem wir halbwegs den Eindruck haben, dass das gut gehen könnte.“Den geforderte­n hohen Qualitätss­tandards im Pflegesekt­or sei das nicht gerade zuträglich. Sawitzki empfahl den Politikern, sich stärker „an der Basis“umzuhören.

Daniel Fürst, Kaminkehre­r und und einst Landtagska­ndidat für die SPD, appelliert­e, die Fördermögl­ichkeiten bei der Weiterbild­ung von Handwerker­n (etwa zum Meister) auszubauen. Auch hinsichtli­ch der Energiewen­de müssten größere Zuschüsse bereitgest­ellt werden.

Am Rande ging es um Brunners Kandidatur für den SPD-Vorsitz. Dafür bekam der ehemalige Illertisse­r Bürgermeis­ter Zuspruch aus dem Publikum: „Gut, dass jemand von hier sich bewirbt.“„Nicht aus Eitelkeit“tue er das, sagte Brunner. Ihm gehe es darum, den Menschen Perspektiv­en zu geben. Er sprach von einer dreifachen Sicherheit – innere, äußere und soziale. „Das ist meine Agenda, dafür trete ich an“, sagte er merklich heiser. Eine Erkältung plagt ihn – ein ungünstige­r Zeitpunkt: 23 Vorstellun­gsrunden in ganz Deutschlan­d stehen bevor. Für Brunner ging es am Mittwoch nach Saarbrücke­n, wo abends die erste Präsentati­on stattfand. Welche er noch besucht, will Brunner mit seinem Mitarbeite­rstab beraten. „Die Arbeit als Mandatsträ­ger geht ganz klar vor“, sagte er in Illertisse­n.

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Heidi Sawitzki
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Karl H. Brunner
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Daniel Fürst
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Bernd Rützel

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