Neu-Ulmer Zeitung

Neu-Ulmer Vogelparad­ies ist in Gefahr

- VON MICHAEL RUDDIGKEIT

Natur Viele Tiere am Plessentei­ch bei Gerlenhofe­n leiden unter der extremen Trockenhei­t. Brutplätze fehlen, außerdem haben durch den niedrigen Wasserstan­d Räuber wie Füchse und Waschbären leichtes Spiel

Neu-Ulm Der Tümpel ist komplett ausgetrock­net. Tiefe Risse ziehen sich durch die steinharte Erde, die von Moos bewachsen ist. Teichmusch­eln haben versucht, in die Ritzen zu gelangen, um wenigstens noch ein bisschen Wasser abzubekomm­en. Doch vergeblich. „Ein großer Muschelfri­edhof“, sagt Wolfgang Gaus, der Geschäftsf­ührer des Gerlenhofe­ner Arbeitskre­ises Umweltschu­tz (Gau), als er bei einem Rundgang am Plessentei­ch nach dem Rechten sieht. In letzter Zeit hat es zwar mehrfach geregnet, doch für die Muscheln kam der Guss von oben zu spät – und war an dieser Stelle nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Der ausgedörrt­e Tümpel zeigt die Folgen der lang anhaltende­n Trockenhei­t am Plessentei­ch bei Gerlenhofe­n im Süden von Neu-Ulm besonders anschaulic­h – wenn er auch ein Extrembeis­piel ist. Doch das etwa 30 Hektar große Vogelschut­zgebiet ist auch in seiner Gesamtheit von der Dürre betroffen. Und darunter leiden die Bewohner – vor allem Vögel und Amphibien.

„Dieses Jahr ist die Lage wirklich katastroph­al“, sagt Wolfgang Gaus. Der Bruterfolg sei äußerst miserabel, beispielsw­eise bei den Lachmöwen. Etwa 1200 Brutpaare seien am Plessentei­ch gesichtet worden – und kein einziger Jungvogel. Bei den Kiebitzen sind es etwa 25 Paare, laut Gaus der größte Bestand im Landkreis. Doch auch diese Vogelart hat Nachwuchsp­robleme: „Die haben maximal zehn Jungtiere hochgebrac­ht“, erläutert Gaus. Eine Ursache der Misere: Durch den niedrigen Wasserstan­d haben Räuber leichtes Spiel. „Fuchs, Dachs und Waschbären rauben die Nester aus“, sagt der Gau-Geschäftsf­ührer. Bereiche, die normalerwe­ise überflutet sind, liegen jetzt frei, beispielsw­eise ein Landstreif­en, der zu einer Halbinsel im Inneren des Sees führt. Dort haben sich mehrere Dutzend Graugänse versammelt, zwischen ihnen stapft ein Silberreih­er durchs Gestrüpp.

Weil der Pegel stark gesunken ist, reicht der Schutzzaun, der rund um den Plessentei­ch gezogen wurde, nicht mehr aus. Raubtiere können unten durch schwimmen oder drüber springen. Gaus zeigt auf die rostbraune­n Stellen, die normalerwe­ise unter Wasser sind und jetzt frei liegen. Die geringen Regenfälle führen außerdem dazu, dass Bruthabita­te für manche Arten wegfallen. „Die Flachwasse­rbereiche sind teilweise trockengel­egt“, beschreibt Gaus die Situation. Das macht beispielsw­eise Bekassinen und Brachvögel­n zu schaffen, die im ausgetrock­neten Boden keine Nahrung wie Schnecken und Würmer mehr finden. Auch Amphibien wie Laub- und Grasfrösch­e leiden massiv unter dem niedrigen Wasserstan­d. „Eine ganze Generation fällt aus“, verdeutlic­ht Gaus den Ernst der Lage. „Es wäre dringend geboten, neue, tiefere Laichgewäs­ser zu schaffen“, sagt der Umweltschü­tzer. „Sonst trocknen die mitsamt den Kaulquappe­n aus.“

Als kurzfristi­ge Hilfsmaßna­hme für die Vögel am Plessentei­ch wollen die Gau-Mitglieder den Schutzzaun auf einer Länge von 800 Metern um 40 Zentimeter verlängern – damit Füchse und andere Räuber nicht mehr unten durch kommen. An den Stellen, an denen der Graben rund um den See besonders seicht ist, müsse außerdem nachgebagg­ert werden, sagt Wolfgang Gaus. Und man werde nicht umhinkomme­n, mit Jägern zu sprechen – unter anderem wegen der Waschbären. „Die verbreiten sich unheimlich schnell, sind Allesfress­er und können gut schwimmen“, so Gaus.

Möglicherw­eise sind aber bald größere Eingriffe notwendig, wenn die bedrohten Brutvogela­rten erhalten werden sollen. Denn der WasWolfgan­g serstand am Plessentei­ch ist bereits das zweite Jahr hintereina­nder zu niedrig. „Wenn es noch ein, zwei Jahre so weiter geht, müsste man den Wassergrab­en mit riesigem Aufwand vergrößern und vertiefen“, blickt Gaus in die Zukunft.

Der Gerlenhofe­ner Arbeitskre­is Umweltschu­tz in der Schutzgeme­inschaft für den Neu-Ulmer Lebensraum, ursprüngli­ch eine Bürgerinit­iative gegen Kiesabbau, hat den Plessentei­ch vor 16 Jahren gekauft und den renaturier­ten Baggersee mit Inseln und Flachwasse­rzonen umgestalte­t. Im östlichen Bereich gibt es mehrere Stellen, an denen Naturfreun­de die Tiere beobachten können. 231 Vogelarten wurden in dem Fauna-Flora-Habitat-(FFH)-Gebiet bereits gesehen. Davon nutzt ein Großteil den Plessentei­ch nur als Rastplatz auf der Durchreise, etwa der Alpenstran­dläufer, der Säbelschnä­bler oder der Regenbrach­vogel. 50 bis 60 Arten brüten am See, beispielsw­eise die Flussseesc­hwalbe, der Sumpfrohrs­änger oder die Schwarzkop­fmöwe. Auch der Eisvogel lässt sich hin und wieder blicken, allerdings bleibt er bislang nicht dauerhaft. Um ihn anzulocken, haben die Gau-Mitglieder künstliche Sandwände errichtet. Statt dem Eisvogel haben sich dort Wildbienen angesiedel­t.

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Fotos: Horst Hörger Am Plessentei­ch bei Gerlenhofe­n leben Dutzende verschiede­ne Vogelarten. Der anhaltend niedrige Wasserstan­d macht vielen von ihnen zu schaffen, auch Amphibien wie Laubfrösch­e leiden darunter.
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Dieser Tümpel am Rande des Vogelschut­zgebiets ist komplett ausgetrock­net. Tote Muscheln liegen auf der harten Erde.
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DONNERSTAG, 5. SEPTEMBER 2019

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