Neu-Ulmer Zeitung

„Rente? Wüsste nicht, wie das funktionie­rt“

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Interview Von Iggy Pop gibt es ein neues Album. Darauf zeigt sich der Rock-Rebell von eher ungewohnte­r Seite. Aber inzwischen betreibt er auch Qigong und beschränkt sich auf eine halbe Flasche Wein am Tag. Maximal eine ganze

Iggy Pop, der Titelsong „Free“, mit dem Ihr neues Album beginnt, besteht aus nur einem einzigen Satz: „I want to be free.“Was bedeutet Freiheit für Sie?

Iggy Pop: Freiheit ist absolut essenziell. Sie ist vital als Idee und auch als Gedanke, dem es zu folgen sich lohnt. Wenn man es übertreibt, kann die Freiheit auch eine gefährlich­e Sache sein. Aber ein bisschen hier und da, das ist die richtige Dosis.

Das neue Album ist ganz schön tiefgründi­g, nicht wahr?

Iggy Pop: Oh ja, das ist es wohl. Die beiden wesentlich­en Mitstreite­r sind Menschen, die sehr viel zu sagen haben: der Jazztrompe­ter und Songwriter Leron James sowie Sarah Lipstate, die sich Noveller nennt und als Gitarristi­n, Komponisti­n und Filmemache­rin arbeitet. Ich habe nicht mehr so viel Zeit, alles selbst zu schreiben, ich war auch zu erschöpft dazu nach meiner langen Tournee. Aber ich merke, wenn etwas herausrage­nd ist. Und „Free“ist dank dieser Menschen eine herausrage­nde Arbeit geworden.

Wovon handelt der Song „The Dawn“, dessen Text Sie selbst geschriebe­n haben?

Iggy Pop: Die Worte stammen aus einem französisc­hen Kurzfilm, der in Frankreich im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen gezeigt wird. Ich spiele darin einen Maler, der berühmt und reich ist aufgrund seiner Fähigkeit, wie kein Zweiter den Sonnenaufg­ang malen zu können. Er steht also immer des Nächtens auf, bereitet sich vor, und dann eines Tages – geht die Sonne nicht auf. Holy shit. Er durchlebt alle Stadien, Angst, Wut, Panik, totales Ausflippen. Dazu schrieb ich dann einen inneren Monolog, und dieser ist nun Basis des Songs geworden.

Sie leben seit 21 Jahren in Miami. Schauen Sie sich viele Sonnenaufg­änge an?

Iggy Pop: Ja. Je älter ich werde, desto früher stehe ich morgens auf. Wenn ich nicht auf Tournee bin, schlafe ich oft schon um neun Uhr abends, dafür bin ich um sechs Uhr in der Früh auch schon wieder munter.

Wie hat sich die Stadt verändert, seit Sie damals hergezogen sind?

Iggy Pop: Früher war es schon geiler. Miami war ein Sammelbeck­en für die Alternativ­en und die Abgefuckte­n, wir kamen von überall her. Heute ist alles sehr nobel und teuer. Und die Touristen sind überall.

Nerven die?

Iggy Pop: Nein, sie sollen ruhig kommen. Mich stören die Leute nicht. Zum Glück ist mein Lieblingss­trand ein echter Geheimtipp, den kennen nur Einheimisc­he. Und oft bin ich in meinem Häuschen in der Karibik, dort lebe ich völlig unbehellig­t.

Sind Sie viel im Wasser?

Iggy Pop: Ja. Früher bin ich drei Kilometer und mehr geschwomme­n. Heute begnüge ich mich mit ein paar hundert Metern. Schwimmen tut mir gut. Aber das Wichtigste, das ich für meine Bühnenausd­auer tue, nennt sich Qigong. Das ist eine fernöstlic­he Technik. Du machst bestimmte Bewegungen und atmest ganz tief aus dem Bauch heraus. Es ist ein bisschen wie Tai Chi.

In Deutschlan­d machen Sie zusammen mit Nico Rosberg Werbung für die Bahn. Wussten Sie vorher um den ramponiert­en Ruf des Unternehme­ns? Iggy Pop: Nein, das habe ich erst später erfahren. Ich konnte das kaum glauben. Als ich in den Siebzigern in Deutschlan­d lebte, war die Bahn echt top. Die Züge waren so groß und die Loks so mächtig und ehrfurchtg­ebietend. Und immer waren sie pünktlich, vollkommen pünktlich. Die Bahnleute waren nichtsdest­otrotz alle supernett.

Schätzen Sie die Deutschen, seit Sie, unter den Fittichen Ihres Freundes David Bowie, in Berlin gelebt haben? Iggy Pop: Ich habe viele unkonventi­onelle Vögel kennengele­rnt, die zugleich ihre Arbeit sehr ernst und gewissenha­ft betrieben. Und dann gab es die Dubiosen, diese preußische­n Charaktere, solche Typen wie später Blixa Bargeld. Das war ja alles noch weit vor der Wiedervere­inigung, und ich glaube, seitdem sind in Berlin die Karten ganz neu gemischt, die Charaktere noch bunter und vielschich­tiger geworden. Ich habe mich mal mit Rammstein über dieses Thema, über die Berliner und die Deutschen, unterhalte­n. Für eine Rockband sind das ja auch sehr solide Leute. Die diskutiere­n alles aus und versuchen immer eine gemeinsame Basis zu finden. Amerikanis­che Rockbands hingegen gehen sich lieber gleich an den Kragen. Rammstein respektier­en sich, und das ist, glaube ich, etwas typisch Deutsches.

Sie haben den harten Drogen vor langer Zeit abgeschwor­en. Wie gesund leben Sie?

Iggy Pop: Hmmm, na ja, ich trinke Kaffee, was jetzt nicht das supergesun­de Gebräu ist. Und Wein. Jetzt, wenn ich arbeite: Halbe Flasche am Tag. Sonst ganze Flasche.

Ist 72 ein gutes Alter?

Iggy Pop: Ich halte dieses Alter für ganz angenehm, sofern du wie ich bei akzeptable­r Gesundheit bist. Der furchteinf­lößendste Satz in diesem Zusammenha­ng, der mir bekannt ist, stammt von dem Schriftste­ller Philipp Roth. Er sagte: „Das Problem mit dem Leben ist, dass es irgendwann aufhört“. Bumm, das sitzt.

Würden Sie gern den Tod insgesamt aushebeln wie diese Leute aus dem Silicon Valley, die sich ihre Gehirne einfrieren lassen wollen?

Leute Pop: Nein, ich bin doch nicht Elon Musk! An solchen Spielchen mit dem Leben habe ich kein Interesse. In der Kunst ist die eigene Sterblichk­eit ja ohnehin ein wenig limitiert. Sie vergessen dich nicht gleich, wenn du nicht mehr bist. Dein Schaffen geistert weiter durch die Welt, manchmal für Jahrhunder­te oder gar Jahrtausen­de. Für mich ist das ein tröstliche­r Gedanke. Aber noch ist der Gedanke an meine Nachwelt nichts, dessen ich mich übermäßig widmen will. Ich habe noch gut mit meinem Leben im Diesseits zu tun.

Gibt es etwas, das Sie vermissen, wenn Sie an den jungen Iggy denken?

Iggy Pop: Meine endlose Energie, meine Ausdauer. Sonst eigentlich nichts. Aus irgendeine­m Grund geht es mir heute in so ziemlich jeder Kategorie, die mir in den Sinn kommt, besser als zu einem beliebigen früheren Zeitpunkt meines Lebens. Puuhh – langer Satz. Anders formuliert: Mir ging es noch nie so gut wie heute. Klar, ich habe mein Leben und meine Karriere nicht auf dem Gipfel begonnen, die Dinge sind alle relativ, und ich bin nicht Billy Joel. Ich kann nicht einfach einmal im Monat am Madison Square Garden vorbeifahr­en, aussteigen und vor den 20000 Leuten spielen, die dort glückselig auf mich warten. Aber das ist okay.

Ihr neues Album ist definitiv keines zum Stagediven. Haben Sie es aufgegeben, ins Publikum zu springen?

Iggy Pop: Ich gehe runter und mische mich unter die Leute, das schon. Aber ohne zu springen. Nein, das kann ich nicht mehr. Ich bin froh, dass ich noch laufen kann. Man darf auch nicht töricht sein.

Aber in Rente gehen wollen Sie noch nicht?

Iggy Pop: Ich wüsste nicht, wie das funktionie­ren sollte. Wenn das Telefon klingelt, gehe ich ran.

Interview: Steffen Rüth

Iggy Pop, 1947 im US-Staat Michigan geboren, begann seine Karriere in den 60er Jahren. Der Bühnenauft­ritt mit nacktem Oberkörper ist sein Markenzeic­hen. Als Schauspiel­er wirkte auch in zahlreiche­n Filmen

(u. a. von Jim Jarmusch) mit.

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Foto: Julien Warnand, dpa „Ich halte dieses Alter für ganz angenehm“: Iggy Pop, 72.

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