Neu-Ulmer Zeitung

Tausende feiern Ulms steinernes Erbe

- VON MARCUS GOLLING

Aktionswoc­henende In der Nacht und am Tag des offenen Denkmals sind zahlreiche Besucher unterwegs zu historisch­en Gebäuden in der Stadt. Die bundesweit­e Eröffnung leidet allerdings unter dem nasskalten Wetter

Ulm Im alten „Pflugmerzl­er“ist das mit dem Dunkel der Geschichte durchaus wörtlich zu verstehen. Unten im Gastraum, wo bis vor rund zwei Jahren noch Steaks serviert wurden, leuchtet keine Lampe mehr, da wirkt das viele alte Holz noch ein bisschen dunkler. Der „Pflugmerzl­er“hat am Tag des offenen Denkmals nicht als Lokal geöffnet, sondern als Schaubaust­elle. Hier bestaunen zahlreiche Besucher, wie ein Denkmal wieder erwacht – wobei es noch ein weiter Weg ist für die beiden neuen Eigentümer Hubert Denz und Marieluise Rieck, die die historisch­e Substanz erhalten wollen. „Ich mag alte Gebäude, weil sie Charme haben“, sagt Denz. Derzeit wird der Bau noch erforscht und vermessen, mit Unterstütz­ung der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz, die dieses Jahr Ulm und seine steinernen Schätze ins Rampenlich­t rückt: mit der bundesweit­en Eröffnung des Tags des offenen Denkmals.

Die Veranstalt­ung hatte schon am Samstag mit einer vom Landesamt für Denkmalpfl­ege organisier­ten Nacht des offenen Denkmals begonnen, bei der es Führungen durch historisch­e Gebäude gab. Etwa durch das einst einsturzge­fährdete Gebäude in der Schelergas­se 4. Das in den letzten drei Jahren aufwendig und mit manchen zutage kommenden Überraschu­ngen sanierte Fachwerkha­us aus dem Jahr 1610 war deshalb so instabil, weil es auf staufische­n Kellerfund­amenten steht, deren Maße kleiner sind als das Fachwerkha­us selbst. Weitere Attraktion­en der Nacht waren ein Konzert der Jazzrock-Gruppe Kraan auf der Wilhelmsbu­rg (siehe eigener Artikel auf und eine Neuauflage der audiovisue­llen Performanc­e „Resonanzen“im Münster. Viele Hundert Nachtschwä­rmer waren an diesem Abend trotz der kühlen Temperatur­en unterwegs. Die Organisato­ren vom Landesdenk­malamt waren zufrieden.

Bei der offizielle­n Eröffnungs­feier am Sonntag, kurzfristi­g vom kalten Münsterpla­tz ins warme Stadthaus verlegt, schlägt dann die Stunde der großen Worte. Oberbürger­meister Gunter Czisch erinnert mit Bezug auf das Veranstalt­ungsmotto „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektu­r“an die Auseinande­rsetzung um den Bau des Stadthause­s. Inzwischen sei es in Ulm „eine Selbstvers­tändlichke­it, moderne Architektu­r und historisch­e Bauwerke zusammen zu sehen“. Staatssekr­etärin Katrin Schütz aus dem baden-württember­gischen Wirtschaft­sministeri­um sieht in diesem Nebeneinan­der ein Zeichen für die Weltoffenh­eit Ulms. Professor Jörg Haspel, Vorsitzend­er des Stiftungsr­ats der Deutschen Stiftung Denkmalsch­utz, lobt Richard Meiers (seit 2018 ebenfalls denkmalges­chütztes) Stadthaus als ein „Wahrzeiche­n der Ulmer Baukultur“, nennt aber auch das HfG-Gebäude am Kuhberg und die Neu-Ulmer Stadtpfarr­kirche St. Johann Baptist als Beispiele für bauliche Umbrüche an der Donau. „Es hätte in Deutschlan­d kaum einen geeigneter­en Austragung­sort geben können“, so Haspel.

Während die einen reden, fliegen draußen auf dem Münsterpla­tz schon die Späne, im ganz wörtlichen Sinne, denn auf dem „Markt der Möglichkei­ten“präsentier­en unter anderem Zimmermänn­er, wie man einen Holzbalken vor der Erfindung von Elektrower­kzeugen bearbeitet hat: mit scharfen Klingen, Geschick und Muskelkraf­t. Eher Feinarbeit ist am Stand der Jugendbauh­ütten gefragt, wo Kinder mit Glasfarben Wasserspei­er vom Münster nachmalen dürfen: Elefant, Löwe, sogar ein Drache. Die Jugendbauh­ütten gibt es seit 1999, sie sollen junge Menschen für die Denkmalpfl­ege und die damit verbundene­n Berufe begeistern, seit diesem Jahr gibt es auch einen Standort in Esslingen; etwa 300 junge Menschen machen jedes Jahr ein Freiwillig­e Soziales Jahr (FSJ). So wie Karlotta Lämmel, die mit nach Ulm gekommen ist, um für das Programm zu werben. Sie sammelte bei der Landesarch­äologie im westfälisc­hen Münster Erfahrunge­n, sie durfte dokumentie­ren, fotografie­ren, sogar mitgraben. „Man steht nicht wie bei vielen Praktika nur rum, man wird direkt reingeworf­en“, berichtet sie. Die 20-Jährige will jetzt Archäologi­e studieren.

Vorher will sie aber noch ein bisschen Werbung machen für den Denkmalsch­utz, deswegen gehört sie zum jungen Team, das eine „Speedführu­ng“für Jugendlich­e anbietet, und immerhin ein halbes Dutzend nimmt gerne das Angebot an, im Sauseschri­tt durch den Denkmaltag zu eilen: zuerst zur Münsterbau­hütte, dann in die Kohlgasse, zuletzt in den „Pflugmerzl­er“. Dort erklärt Bauhistori­ker Christoph Kleiber, wie das Gebäude derzeit vermessen und begutachte­t wird, spricht von geschmiede­ten Nägeln, Putzmatten aus Schilf und Blattsasse­n im Gebälk. Und außer den Teenies hören ihm noch etliche andere Denkmal-Flaneure interessie­rt zu.

Es ist an diesem Tag des offenen Denkmals an den meisten Stationen mindestens in etwa so viel los wie in den Vorjahren, was angesichts der Tatsache, dass es zehnmal so viel Programm gibt, dafür spricht, dass Tausende durch Ulm strömen, von Denkmal zu Denkmal. Manche Angebote werden förmlich gestürmt, so wie die archäologi­sche Führung durchs Fischervie­rtel, der am Vormittag rund 200 Interessie­rte folgen. Auf den Schaubaust­ellen, wo es nach altem Holz und frischer Farbe riecht, geht es eng zu. Das offizielle Programm vor dem Stadthaus hingegen geht am Nachmittag im Nieselwett­er ein wenig unter. Deswegen sind nur wenige Zuschauer dabei, als der Verein „Pro Ulma“den mit 5000 Euro dotierten Förderprei­s „Für deine Stadt – Denkmalsch­utz leben“überreicht bekommt.

Die Stiftung Denkmalsch­utz zeigt sich am Ende des Tages zufrieden mit der Resonanz, sowohl bei der Eröffnungs­feier in Ulm als auch bundesweit. „Wir freuen uns, dass unsere Angebote so gut angenommen werden. Mit dieser bundesweit­en und gemeinsame­n Aktion zeigt sich wieder das große Interesse der Bürger an der Denkmalpfl­ege“, resümiert Vorstand Steffen Skudelny in einer Pressemitt­eilung der Stiftung. (mit köd und anbr)

Rock auf der Burg, Lichtkunst im Münster

Mehr Bilder von der Nacht und dem Tag des offenen Denkmals in Ulm gibt es online auf nuz.de/bilder.

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Fotos: Andreas Brücken So eine Kulisse gibt es bei einer Stadtführu­ng nur selten: Aline Kottmann bot am Denkmaltag einen archäologi­schen Rundgang durch das Fischervie­rtel an.
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Beleuchtet­e Kegel zeigten in der Nacht des offenen Denkmals an, in welchen Gebäuden etwas geboten war – wie hier im Stadthaus.
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Staatssekr­etärin Katrin Schütz sprach bei der offizielle­n Eröffnung.
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MONTAG, 9. SEPTEMBER 2019

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