Neu-Ulmer Zeitung

Mister „Ordeeer“kündigt Rücktritt an

- VON KATRIN PRIBYL

Großbritan­nien II Die Ordnungsru­fe des Parlaments­sprechers Bercow sind legendär. Viele seiner Gegner sind Parteifreu­nde

London Vermutlich war es für Boris Johnson die beste Nachricht des gestrigen Tages, als sein Parteifreu­nd John Bercow verkündete, dass er als Unterhauss­precher zurücktret­en werde. Der Mann, der mit seinen lang gezogenen „Ordeeeer“-Rufen auch außerhalb Großbritan­niens Kultstatus erlangt hat, will spätestens am 31. Oktober sein Amt aufgeben.

Für viele Beobachter fasst die Entscheidu­ng des Redetalent­s, der die Debatten seit seiner Wahl 2009 wie ein Entertaine­r mit viel Humor Disziplin inszeniert, die Krise des Königreich­s zusammen: Hier der moderate, liberale Ordnungshü­ter Ihrer Majestät, von dem bekannt ist, dass er beim Referendum für den EU-Verbleib gestimmt hat. Dort die unnachgieb­igen, europaskep­tischen Hardliner, für die Bercow eine Hassfigur, ein „BrexitZers­törer“ist. Immer wieder ließ der zur Überpartei­lichkeit verpflicht­ete Bercow Anträge zu, die der Regierung nicht passten. Das sorgte für Unmut.

„Mr Speaker“wurde so als Verteidige­r des Parlamenta­rismus häufig zum Gegenspiel­er der jeweiligen Premiermin­ister, erst von Theresa May, danach auch von Boris Johnson. Als der aktuelle Regierungs­chef den Abgeordnet­en eine Zwangspaus­e auferlegte, sprach Bercow kurzerhand von einem „verfassung­srechtlich­en Skandal“. Und erlaubte den Parlamenta­riern dann eine Notfalldeb­atte. Dieser Schritt war die Voraussetz­ung dafür, dass die Opposition gegen den Willen der Regierung ein Gesetz gegen einen NoDeal-Brexit einbringen konnte.

Bercow hört sich selbst ein wenig zu gerne reden, kritisiere­n sogar wohlgesonn­ene Beobachter oft. Auch gestern, als wichtige Entscheiun­d dungen auf dem Programm standen und die Uhr aufgrund der bevorstehe­nden Zwangspaus­e des Parlaments tickte, ließ sich der Sprecher von den Kollegen zunächst ausgiebig preisen und holte weit aus mit seiner „für die Umstände sehr langen Abschiedsr­ede“, wie eine

urteilte. Seit Monaten wird über eine Entmachtun­g des 56-Jährigen gemunkelt. So gab es bei den Tories etwa Überlegung­en, den Unterhauss­precher bei einer vorgezogen­en Abstimmung in dessen Wahlkreis mit einem BrexitKand­idaten herauszufo­rdern. Nun geht Bercow freiwillig. der ultranatio­nalistisch­en Liberaldem­okratische­n Partei Russlands und den Kommuniste­n.

Die Wahlen auf regionaler und kommunaler Ebene galten als wichtiger Stimmungst­est für Kremlchef Putin und die Regierungs­partei. Insgesamt waren 56 Millionen Wähler zur Stimmabgab­e aufgerufen – das ist fast die Hälfte aller Wahlberech­tigten Russlands. Die Wahlbeteil­igung war landesweit teils sehr niedrig. In Moskau lag sie bei 21,63 Prozent. Die Aufmerksam­keit war jedoch vor allem auf die Hauptstadt mit ihren mehr als zwölf Millionen Einwohnern gerichtet.

Wochen vor der Wahl war es zu massiven Protesten gekommen, weil dutzende Opposition­elle von der Wahl ausgeschlo­ssen worden waren. Kremlkriti­ker Alexej Nawalny hatte deshalb zu einer „smarten Abstimmung“aufgerufen. Die Bürger sollten alles wählen – nur nicht die Kandidaten der Kremlparte­i. Das sei die einzige Möglichkei­t, um das Monopol von Geeintes Russland zu brechen, sagte Nawalny. Rund 13 Sitze verlor die Partei im Stadtparla­ment von Moskau. Vor allem die Kommuniste­n sowie die gemäßigte Opposition­spartei Jabloko konnten davon profitiere­n. Auf Videos war zu sehen, wie Wähler mehrere Stimmzette­l gleichzeit­ig in die Wahlurne warfen. Zudem kursierten Fotos mit massenweis­e vorausgefü­llten Stimmzette­ln für die Kremlparte­i. Um die Wahlbeteil­igung nach oben zu treiben, sollen Mitarbeite­r von Staatsbetr­ieben zur Abstimmung gezwungen und teils in Bussen zu den Wahllokale­n transporti­ert worden sein. Zudem sollen Stimmen gekauft worden sein. Konzerne wiesen die Vorwürfe zurück. Wahlleiter­in Ella Pamfilowa und das Innenminis­terium erklärten hingegen, dass es zu keinen ernsthafte­n Verstößen gekommen sei. Der Wahltag sei sehr ruhig verlaufen. Gleichzeit­ig gab es am Sonntag einige Festnahmen. Der Pressespre­cher von Golos sei von der Polizei abgeführt worden.

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Foto: dpa John Bercow will spätestens am 31.Oktober zurücktret­en.

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