Helfer statt Held
Formel 1 Das fünfte Jahr für Ferrari sollte Sebastian Vettel den Durchbruch bringen. Stattdessen steckt er in der größten Krise seiner Karriere
Monza Sebastian Vettel zupfte immer wieder an seiner Unterlippe. Er zog den roten Kragen seiner Regenjacke im wohltemperierten Motorhome von Ferrari nach oben, als wolle er sich dahinter verstecken. Ein Lächeln suchten Beobachter vergeblich. „Ich liebe noch immer, was ich mache, aber wenn du es nicht gut machst, kannst du auch nicht glücklich sein“, räumte Vettel ein. Dem viermaligen Formel1-Weltmeister droht das schlechteste WM-Abschneiden, seit er für Ferrari fährt. Das fünfte Jahr bei der Scuderia sollte wie einst bei Vorbild Michael Schumacher zum Durchstarter mit dem ersten Titel für Ferrari werden. Weiter könnte Vettel davon nach dem Desaster von Monza kaum entfernt sein.
Auf Rang fünf im Klassement rutschte der 32-Jährige nach Rang 13 beim emotionalen Großen Preis von Italien ab – überrundet vom eigenen Teamkollegen Charles Leclerc. „Leclerc schickt Vettel mit einem prächtigen Sieg in Monza in Rente“, urteilte die spanische Sportzeitung bereits. Vettel nur noch ein Auslaufmodell? Er macht die schwerste Zeit seiner Formel-1-Karriere durch, die 2007 startete. „Er hat ein paar Fehler gemacht, aber das ist Monza“, sagte Ferraris Teamchef Mattia Binotto.
Monza ist für Vettel aber inzwischen fast überall. Seit dem 26. August 2018 wartet er auf den 53. Grand-Prix-Erfolg seiner Karriere. Der britische Sender rechnete vor, dass Vettel sich in den vergangenen 27 Rennen neun kapitale Fehler leistete.
In Belgien vor gut einer Woche musste sich der Heppenheimer schon in die Rolle des Helfers für seinen über ein Jahrzehnt jüngeren Teamkollegen fügen. Am Sonntag in Italien beim zweiten Leclerc-Sieg innerhalb einer Woche wurde das für viele Beobachter die neue Rangordnung – auch wenn das die Beteiligten natürlich nicht zugeben würden. Es reichen aber Momentaufnahmen als Belege.
Mit der Qualität eines Champions verteidigte Leclerc seine Führung kompromisslos. Und das unter dem Druck des Ferrari Heimrennens und mit WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton zumeist großformatig im Rückspiegel. „Selbst
Ayrton Senna wäre nach so einem Rennen stolz auf diesen so zarten, so unerbittlichen Jungen“, meinte Italiens Corriere della Sera.
Leclerc ist viel zu clever, um seine neue Rolle allzu demonstrativ, genussvoll und vor allem vor Vettel zur Schau zu stellen. Man müsse als Team zusammenarbeiten, betonte der Monegasse, der vom Sohn des ehemaligen Ferrari-Teamchefs Jean Todt beraten wird. Nach einem Jahr beim Ferrari-Partner Sauber (jetzt Alfa Romeo) war Leclerc vor dieser Saison bereits zum Stammfahrer der Scuderia ernannt worden.
Der in die Jahre gekommene Vettel-Kumpel Kimi Räikkönen musste Ferrari verlassen, mit seinem Titel 2007 ist er noch immer der letzte Weltmeister der Marke aus Maranello. Vettel verlor mit dem bald 40 Jahre alten Räikkönen seinen Wohlfühl-Teampartner und bekam in Leclerc den neuen Hoffnungsträger Ferraris an die Seite gesetzt. „Natürlich war das früh und ich bin Ferrari dafür sehr dankbar“, sagte Leclerc nach seinem Sieg. Während Vettel in seiner roten Regenjacke nur neidische Blicke auf die Trophäe blieben, die neben dem 21 Jahre alten Monza-Gewinner stand, fügte Leclerc noch an: „Ich war aber mehr bereit als manche Leute gedacht haben.“