Neu-Ulmer Zeitung

Hart aber herzlich: So war der erste Schultag

- VON FELICITAS LACHMAYR

Bildung Fehlende Schultüte, falscher Sitzplatz, vier Klassen in einem Raum – früher war in der Schule vieles vollkommen anders als heute. Bekannte Menschen aus dem Landkreis erinnern sich an einen großen Tag ihrer Kindheit

Landkreis Der erste Schultag ist aufregend – fremdes Umfeld, neue Herausford­erungen. Im Landkreis sitzen heute 1516 Kinder zum ersten Mal im Klassenzim­mer. Woran werden sie sich später einmal erinnern? Unsere Redaktion hat bekannte Menschen aus dem Landkreis gefragt, wie sie ihre Einschulun­g erlebt haben:

Unternehme­r Der Ranzen war gebraucht, eine Schultüte gab es nicht, als Josef Kränzle 1951 in die Illertisse­r Knabenschu­le kam. Seine Schwester zeigte ihm den Weg, während die Eltern auf dem Hof arbeiteten. Die Schule befand sich im Rathaus, im Klassenzim­mer werden heute Paare getraut. „Weil ich groß war, durfte ich hinten sitzen“, erinnert sich Kränzle. Dass er später mit einer eigenen Firma Erfolg haben würde, zeichnete sich in der Schulzeit noch nicht ab. „Ich war vermutlich der faulste Schüler der Klasse“, sagt Kränzle mit einem Lachen. „Ich bin erst später aufgewacht.“Wer nicht folgte, dem schlug die Lehrerin mit dem Stock auf die Finger, „bis sie anschwolle­n wie Bratwürste“. Er habe sich gefreut, als die Schule nach der achten Klasse vorbei war. Doch bevor Kränzle seine Lehre bei Wieland antreten durfte, musste er ein Jahr Brotzeit holen.

Lehrerin Mit Schultüte und Lederranze­n kam Helga Sonntag vor 55 Jahren in die Illertisse­r Mädchensch­ule. Die 59 Schülerinn­en wurden in zwei Klassen aufgeteilt – strikt nach Alphabet und nicht wie heute nach Wünschen oder Wohnort, erinnert sich Sonntag. „Ich hatte Glück und kam mit meiner besten Freundin in eine Klasse.“Doch weil sie größer war, durfte sie hinten sitzen, während Sonntag in der vorderen Schulbank Platz nehmen musste. „Das war schlimm für mich.“Als erste Hausaufgab­e durfte die heutige Grundschul­lehrerin und Illertisse­r Stadträtin Spazierstö­cke und Bälle an die Tafel malen. „Ich bin gerne in die Grundschul­e gegangen“, sagt Sonntag. Die sozialen Kontakte seien ihr am wichtigste­n gewesen – auch später am Gymnasium. Allerdings nahm das Kolleg der Schulbrüde­r Illertisse­n erst ab 1969 Mädchen auf. Für Sonntag hieß das: ein Jahr warten. Dafür war sie im ersten Mädchenjah­rgang dabei.

Kulturscha­ffender An seinen ersten Schultag im September 1947 kann sich Fritz Unglert vom Freundeskr­eis Kultur im Schloss kaum noch erinnern. Nur eines weiß er: „Ich hatte keine Schultüte.“Die habe es auf dem Dorf nicht gegeben – genauso wenig wie Fotos vom ersten Schultag. Vier Klassen saßen in einem Raum. Doch nicht der viele Unterricht­sstoff, sondern die junge Lehrerin verdrehte ihm den Kopf. „Ich war ein bisschen verliebt in sie“, erinnert sich Unglert. Umso größer war die Freude, als die Lehrerin ihm eine Zwei im Singen gab. Nach der Grundschul­e in Loppenhaus­en im Unterallgä­u besuchte Unglert das Gymnasium in Mindelheim. Um 6 Uhr morgens fuhr der Zug – den Weg zum Bahnhof lief er zu Fuß. Für seine Eltern sei es schwierig gewesen, elf Mark für die Monatskart­e aufzubring­en. Doch sie hätten es ihm als eines der wenigen Kinder im Dorf ermöglicht, eine höhere Schule zu besuchen.

Landrat Als einen spannenden Tag hat Landrat Thorsten Freudenber­ger seinen ersten Schultag empfunden. Mit einer Schultüte voller Süßigkeite­n im Arm („Gummibärch­en waren bestimmt dabei“) betrat er 1979 die Grundschul­e Süd in Vöhringen. Er war ein wenig traurig, dass niemand von seinen Kindergart­enfreunden in seiner Klasse war. Doch die Lehrerin habe schnell dafür gesorgt, dass er sich wohlfühlte. Er habe grundsätzl­ich positive Erinnerung­en an die Schule: „Das war der Ort, wo ich neue Freunde gefunden habe – und diese Freundscha­ften bestehen teilweise immer noch.“Offenbar war Freudenber­gers Begeisteru­ng so groß, dass er später Lehrer geworden ist.

Pfarrer Dass er sich einmal in den Dienste Gottes stellen würde, ahnte Thomas Kleinle in der Schule noch nicht. Eigentlich war Mathe sein Lieblingsf­ach. Im Abitur schnitt er da auch besser ab als in Religion. Trotzdem habe ihm der Reliunterr­icht schon damals gefallen – weniger Druck, Zweifel äußern, über Lebensfrag­en sprechen. „Das war spannend“, sagt der Pfarrer. 1993 wurde er an der Grundschul­e in Lauingen eingeschul­t. Am ersten Schultag war die Aufregung groß. Dagegen half auch die Dinosaurie­rSchultüte nichts, die Kleinle mit seiner Mutter gebastelt hatte. „Zum Glück kannte ich einige Kinder aus dem Kindergart­en. Das hat es einfacher gemacht.“In die Grundschul­e ging er zu Fuß, denn sie lag gleich um die Ecke. „Ich bin immer möglichst spät aufgestand­en und dann schnell in die Schule gelaufen.“

Schulleite­r Einen kurzen Schulweg hatte auch Manfred Schöpplein. Voller Stolz betrat er im September 1963 zum ersten Mal das Klassenzim­mer der Volksschul­e in Neumarkt in der Oberpfalz. „Das Beste an dem Tag war die Schultüte“, sagt Schöpplein, der heute das Kolleg der Schulbrüde­r in Illertisse­n leitet. Lesen und Schreiben lernte er noch mit Kreide und Schieferta­fel. Genauso spannend wie die Schule war der Weg dorthin: heimlich für zehn Pfennig Süßigkeite­n kaufen, Freunde treffen oder mal eine Rangelei – auf dem Schulweg war immer was los. „Damals hatte die Schulzeit noch etwas mehr von Erich-Kästner-Erzählunge­n“, sagt Schöpplein. „Wir hätten gar nicht gewollt, dass uns die Eltern in die Schule fahren.“

Bürgermeis­terin Mit roter Schultüte samt Prinzessin­nenmotiv lief Susanne Schewetzky am ersten Schultag 1983 in die Grundschul­e in Kettershau­sen. Ihre ältere Schwester begleitete sie. „Ich bin ziemlich stolz in die Schule marschiert“, sagt die Kettershau­ser Bürgermeis­terin. „Bestimmt war ich aufgeregt, aber ich kannte viele Kinder aus dem Kindergart­en.“Sie sei gerne in die Schule gegangen, das Lernen sei ihr leicht gefallen – zumindest, wenn sie aufgepasst hatte. „Einmal habe ich eine Strafarbei­t kassiert“, sagt Schewetzky. Weil sie einige Seiten im Buch vorausgele­sen hatte, konnte sie nicht an der richtigen Stelle vorlesen, als der Lehrer sie aufrief.

Schulamtsc­hef Mit Freude blickt Ansgar Batzner auf seine Grundschul­zeit zurück. Seine Mutter habe ihn am ersten Schultag begleitet. „Eine Schultüte hatte ich nicht, dafür gab es ein Geschenk“, sagt der Schulamtsd­irektor. In besonders guter Erinnerung hat der 60-Jährige seine erste Lehrerin. „Sie stand kurz vor der Pensionier­ung und war einfach toll.“Um dem Trubel mit fünf Geschwiste­rn zu Hause zu entkommen, stellte er sogar einmal etwas an, um länger in der Schule bleiben zu können.

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Foto: Stadtarchi­v In den 1920er-Jahren wurde auf dem Spielplatz vor dem Kolleg der Schulbrüde­r in Illertisse­n noch geturnt, wie diese alte Postkarte zeigt. Heute ist das Gymnasium um einige Gebäude erweitert, die Wiese längst bebaut und die Dietenheim­er Straße führt an der Schule vorbei.
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Foto: Freudenber­ger Landrat Thorsten Freudenber­ger ging gern in die Schule.
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Foto: Archiv Sonntag Vor 55 Jahren kam Lehrerin Helga Sonntag in die Schule.
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DIENSTAG, 10. SEPTEMBER 2019
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Josef Kränzle
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Fritz Unglert
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M. Schöpplein
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S. Schewetzky
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Ansgar Batzner
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Helga Sonntag
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Thomas Kleinle
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T. Freudenber­ger

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