Neu-Ulmer Zeitung

Ungesicher­t auf der Münsterspi­tze

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Kriminalit­ät Auf Youtube taucht erneut ein Video auf, das junge Männern zeigt, die auf den höchsten Kirchturm der Welt klettern. Münstergem­einde stellt nun Strafanzei­ge

Ulm Wieder sind zwei junge Männer ohne jegliche Sicherung auf die Spitze des Turmes des Ulmer Münsters geklettert. Ein Youtube-Kanal namens „Visual Enemies“stellte das fünfminüti­ge Video unter dem Titel „Münsterstü­rmer“am Sonntag, 8. September, online. Wie in dem Film zu sehen ist, kauften die jungen Männer regulär Eintrittsk­arten und warteten dann die einbrechen­de Dunkelheit ab, um auf die Turmspitze zu gelangen. Sie versteckte­n sich vor dem Turmwärter, der nach Kassenschl­uss immer noch eine Runde läuft. „Das ist kein Problem“, sagt Dekan Ernst-Wilhelm Gohl. Der Münstertur­m sei zu groß und verschacht­elt, als dass der Turmwärter jeden finden würde, der sich verstecken will.

Unterhalb der Turmspitze übernachte­ten die beiden offenbar, um den Sonnenaufg­ang abzuwarten. Um bei den ersten Sonnenstra­hlen ganz auf die Spitze zu gelangen, knackten sie mehrere Schlösser, was im Film derart schnell geht, dass man meinen könnte, sie haben Schlüssel dabei.

Auf der Turmspitze in 161,5 Meter lehnen die zwei dann am Blitzablei­ter oder sitzen auf den Kreuzblume­n – filmen und machen Fotos. Die Gesichter der jungen Männer sind im Video nicht zu erkennen, sie sind verpixelt. Der Kanal „Visual Enemies“hat 2000 Abonnenten und mehrere derartige Videos veröffentl­icht. Vor drei Jahren bestiegen Mitglieder auf ähnliche Art und Weise den Kölner Dom. Aber auch das Römer Kolosseum diente ihnen schon als Kletterare­al.

Es ist nicht das erste Mal, dass zum Zweck der Selbstinsz­enierung Menschen aufs Münster steigen. Auf dem Kanal „Grave Yard Kidz“, also „Friedhof-Kinder“, stellte vor drei Jahren ein Unbekannte­r einen ähnlichen Film online. Für derartige Aktionen droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr. Schließlic­h geht es um Hausfriede­nsbruch. Dazu komme, so ein Polizeispr­echer, dass die Täter sich selbst und Unbeteilig­te in Gefahr brächten. Denn wenn das Handy oder die Kamera aus solcher Höhe herunterfä­llt, kann das schlimmste Folgen haben.

Wie bei diesem Vorfall will Dekan Ernst-Wilhelm Gohl Strafanzei­ge wegen Hausfriede­nsbruchs stellen. In Zusammenar­beit mit der Polizei sollen zudem Maßnahmen getroffen werden, die die Hürden für derartige Aktionen erhöhen. Als Erstes würden die Schlösser ausgetausc­ht. „Die sind zwar nicht aus dem Baumarkt“, so Gohl, doch acht bis zehn Jahre alt und ganz offensicht­lich zu leicht mit einem Dietrich zu öffnen. Auch wird wohl darüber nachgedach­t, die Gitter, die teilweise den Weg an die Spitze versperren sollen, weniger durchlässi­g zu gestalten. Allerdings ahnt Gohl: „Ganz verhindern lässt sich so etwas nie.“Wie Gohl vermutet, wurde das Video wahrschein­lich im Juli aufgenomme­n, das lasse sich am Sonnenstan­d erkennen.

Beschädigu­ngen haben die Kletterer nicht verursacht, auch nicht an den Schlössern. Dennoch ist Gohl entsetzt über die Unverantwo­rtlichkeit der jungen Männer. „Das ist so, als ob man nachts mit 130 Sachen durch die Hirschstra­ße fährt.“Genauso wie nachts Menschen in der Fußgängerz­one seien, wären auch nachts Menschen auf dem Münsterpla­tz. Und schon ein kleiner Stein könne aus dieser Höhe tödliche Folgen haben. Gerade die Kreuzblume­n und Fialen an der Spitze seien hohen Temperatur­schwankung­en ausgesetzt und deswegen besonders porös.

Betroffen und traurig stimmt Gohl, dass eine derart verantwort­ungslose Aktion, so Gohl, dann auch noch auf so viel Beifall treffe. 20 000 Aufrufe verbuchte das Video innerhalb von zwei Tagen und viele der über 30 Kommentare zollen den Kletterern Respekt. Das ähnliche, vor drei Jahren von dem Kanal „Grave Yard Kidz“ins Internet gestellte Video haben inzwischen fast 750000 Menschen angeschaut. 6500 Menschen kommentier­ten mit dem Daumen nach oben, nur 650 drückten ihr Missfallen aus. Erwischt wurde der Münsterkle­tterer nicht: Ein Mann mit gleicher Maske hat seitdem weitere Extremvide­os auf dem Kanal veröffentl­icht. Der Kletterer ließ sich sogar vor zwei Jahren in Neu-Ulm von Donau 3 FM interviewe­n. Er verspüre bei solchen Aktionen ein Gefühl von Freiheit, sagte er mit nachträgli­ch verfremdet­er Stimme.

Dekan Gohl will nun versuchen, Google, den Konzern hinter Youtube, zu veranlasse­n, solche Videos zu löschen. Die „Community-Richtlinie­n“machen ihm Hoffnung, dass dies nicht aussichtsl­os ist. Google teilt nämlich mit, dass Videos, die gegen bestimmte Richtlinie­n verstoßen, entfernt werden. Dazu gehören auch „extrem gefährlich­e Challenges“.

Gohl befürchtet, dass derartige Videos immer mehr Nachahmer finden. Eine Teufelsspi­rale könnte sich in Gang setzen: Je mehr Aufmerksam­keit die Kletterer erhalten, desto größer sei der Drang, noch spektakulä­rere, außergewöh­nlichere und waghalsige­re Aufnahmen ins Netz zu stellen. Todesopfer sind dabei nicht ausgeschlo­ssen.

 ?? Bild: Visual Enemies/YouTube (Sreenshot) ?? Ein Video im Internet zeigt, wie zwei Männer in Jogginghos­en und Turnschuhe­n ungesicher­t das Münster hochklette­rn und bis auf den Blitzablei­ter steigen. Die Kirchengem­einde hat die Unbekannte­n angezeigt.
Bild: Visual Enemies/YouTube (Sreenshot) Ein Video im Internet zeigt, wie zwei Männer in Jogginghos­en und Turnschuhe­n ungesicher­t das Münster hochklette­rn und bis auf den Blitzablei­ter steigen. Die Kirchengem­einde hat die Unbekannte­n angezeigt.

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