Mensch, Mama!
Titel-Thema Michael hat für sein Engagement bei Fridays for Future schon einen Schulverweis kassiert, trampt zu seiner Freundin und verzichtet weitgehend auf Plastik. Seiner Mutter ist so manches davon suspekt. Eine Klimadebatte am Küchentisch
ture-Mitglieder erzählen, die Eltern würden sie unterstützen und genauso denken. Nur gibt es eben auch Haushalte, wo der Klimastreit am Küchentisch stattfindet. Eine Aktivistin aus Ulm erzählt: „Mein Vater ist der Konservative in der Familie. Er isst gerne Fleisch, hält nicht viel von Greta und liebt Kaffee. Wir versuchen schon lange, eine umweltschonende Marke für ihn zu finden.“
Die Familie ist der erste Ort, an dem ein Kind politisch sozialisiert wird. Professor Peter Rieker vom Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Zürich sagt: „Was in der Familie verhandelt oder an Werten vermittelt wird, hat eine Art von Modellwirkung. Dadurch können Kinder politische Positionen ihrer Eltern übernehmen. Es kann aber auch dazu führen, dass es zu einer Abgrenzung kommt.“So wie bei Michael eben.
Zurück am Küchentisch. Mittlerweile geht es um Mobilität. Zum letzten Mal geflogen ist die kleine Familie vor fünf, sechs Jahren nach Thessaloniki, Griechenland. Jetzt, wo es der Mutter gesundheitlich nicht so gut geht, bleiben die beiden zu Hause. Doch die Familienkutsche vor dem Haus ist Michael ein Dorn im Auge. „Ist nun mal schon da“, sagt Mama Viola. „Es war ja für mehr Kinder geplant.“Als Michael zwei war, trennten sich die Eltern. Seine Kindheit beschreibt er trotzdem als „relativ gut“.
Seinen Konsum hinterfragt habe er erst nach seiner ersten Demo Anfang das Jahres. In seinem Zimmer stehen neben alten Zeitungsartikeln über Fridays for Future („Verweis wegen Klima-Demo“) und seinem ersten Demo-Plakat („Oma, was ist ein Schneemann?“) zwei TV-Bildschirme.
Er sagt: Milch aus Glasflaschen wäre schön
Reliquien einer nicht ganz so umweltschonenden Zeit. „Aber gebraucht“, versichert er.
Letzte Frage: Worauf könntet ihr nicht verzichten? „Mein Auto“, sagt Mutter Viola nach kurzem Überlegen. „Das Handy“, weiß Michael sofort. Wenn ihr Junge vom Kohleabbau spricht, kommt sie – Besitzerin eines Nokia-Tastenhandys – auf sein Honor zu sprechen, eine chinesische Marke: „Da werden seltene Erden abgebaut. Das sieht auch grauenhaft aus. Wir tragen alle zur Umweltverschmutzung bei.“
Draußen ist es dunkel geworden. Zweieinhalb Stunden lang haben Michael und seine Mutter diskutiert, über Kerosinsteuer und in Marokko gepulte Nordseekrabben, haben gelacht, sich gegenseitig Vorwürfe gemacht und sich, ja, vielleicht sogar gegenseitig ein wenig besser verstanden.
Michael blickt auf sein Handy: 1699 neue WhatsApp-Nachrichten. Er ist in etwa 160 Fridays-for-Future-Chats. „Also mich hat niemand angerufen“, sagt Mama Viola. Zum Abschied gibt es für den Besucher noch zwei Dinge auf den Weg: eine Stofftasche und eine Bibel.