Neu-Ulmer Zeitung

„Ich bin gerne an kalten Orten“

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Live-Interview Markus Lanz spricht über die verschwimm­enden Grenzen zwischen Politik und Unterhaltu­ng. Er erzählt von betrunkene­n Russen am Nordpol und von dem Menschen, der ihn am meisten prägte

Herr Lanz, im ZDF sind Sie eigentlich dem Unterhaltu­ngsbereich zugeordnet. Ihre Sendung „Markus Lanz“ist aber doch sehr politisch.

Markus Lanz: Tatsächlic­h sind wir bei der Unterhaltu­ng angedockt, aber die Zeiten sind andere geworden. Auch eine Sendung wie meine verändert sich natürlich in diesem Kontext, ansonsten wird sie irgendwann entsorgt. Es ist eine gute Zeit für Leute, die etwas erklären.

Hat sich denn das Land verändert? Lanz: Ich bin Ende der 80er Jahre einer Frau nach Hamburg gefolgt, das war die große Liebe. Da habe ich ein anderes Deutschlan­d kennengele­rnt, als es heute zu sehen ist. Wenn man böse wäre, würde man sagen, das bräsige Helmut-Kohl-Deutschlan­d. Es war ein bisschen gemütliche­r. Damals war auch immer die Rede von Deutschlan­d als krankem Mann Europas. Jetzt haben wir zwölf Jahre einen phänomenal­en Aufschwung erlebt. Und dieses Deutschlan­d, speziell auch dieses Bayern, ist das beste, das es jemals gegeben hat. Trotzdem haben wir häufig das Gefühl, wir fühlen uns nicht so richtig wohl in unserer Haut. Das zu ergründen, ist eine große Aufgabe.

Haben Sie das Gefühl, die Grenzen zwischen Politik und Unterhaltu­ng verwischen?

Lanz: Mit Blick auf US-Präsident Donald Trump kann man das absolut so sagen. Das ist eine Figur aus dem Trash-Fernsehen. Aber wir neigen manchmal dazu, aus einer leicht arroganten Attitüde heraus zu sagen: Guck mal, lauter Idioten! Ich war damals, kurz vor der Wahl Trumps, viel in Amerika unterwegs. Wir haben dort eine Reportage gedreht. Man konnte wissen, dass dieser Mann zumindest eine echte Chance hat, Präsident zu werden. Das Gleiche habe ich jetzt in England auch wieder gesehen. Wenn man in Oxford nach Boris Johnson, den Premiermin­ister, fragt, hört man: Das war einer, der aufgefalle­n ist, weil er besonders schlau war.

Jemand wie Trump mag unterhalts­am sein. Aber ist das nicht auch gefährlich, weil man gar nicht sieht, welche ernsthaft radikale Politik betrieben wird? Lanz: Ja, das ist das eine: Man muss da bestimmt wachsam sein. Aber es ist ähnlich wie mit der AfD: Ich habe oft das Gefühl, wir arbeiten uns viel zu sehr an der AfD ab. Aber wir fragen nicht: Warum gibt’s die eigentlich? Wir beschäftig­en uns nicht mit den wirklichen Ursachen.

Es gibt ja den Vorwurf, dass erst durch die Präsenz von AfD-Vertretern in den Talkshows die Partei salonfähig geworden sei.

Lanz: Der Verdacht, dass man jemandem eine Plattform bietet und ihn dadurch erst groß macht, dem ist ja Journalism­us ganz grundsätzl­ich ausgesetzt. Nur: Wir leben in anderen Zeiten. Die brauchen uns nicht mehr. Deshalb ist das Argument, man würde etwa die AfD salonfähig machen, in meinen Augen völlig obsolet. Denn sie haben Plattforme­n. Jemand wie Donald Trump braucht die Presse nicht mehr, das ist das wahrhaft Gefährlich­e an solchen Leuten. Das, was er sagen möchte, twittert er einfach raus, komplett unkontroll­iert.

In Deutschlan­d muss sich Kanzlerin Merkel zumindest noch den Fragen unabhängig­er Journalist­en stellen und sich etwa bei Anne Will erklären. Lanz: Ja, sicher. Aber mal ganz grundsätzl­ich: Ich bin nicht der Meinung, dass die Demokratie in einer schwierige­n Verfassung ist, eher im Gegenteil. Jemandem wie Donald Trump verdanken wir letzten Endes auch guten Journalism­us. Man sieht es genauso in Deutschlan­d, etwa an der Wahlbeteil­igung. Die Leute diskutiere­n wieder über Politik.

Wie schwierig ist es für Sie, sich in Ihrer Sendung mit Ihrer eigenen Meinung zurückzuha­lten?

Lanz: Ich fand immer schon: Bei einer Sendung, die deinen Namen trägt, haben die Leute durchaus ein Anrecht darauf zu verstehen, wie du tickst. Man kann auch eine Haltung zu bestimmten Dingen entwickeln. Aber wann überzieht man? Sie hatten in Ihrer Sendung einmal eine recht scharfe Auseinande­rsetzung mit der Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t. Hinterher prasselte die Kritik nur so auf Sie ein.

Lanz: Entzündet hat sich der Streit am Programmen­twurf der Linksparte­i für die Europawahl. Die EU sei eine militarist­ische und diktatoris­che Veranstalt­ung, hieß es darin. Das sah ich anders, das fand ich schwierig. Dass es dann unglücklic­h gelaufen ist und ich Fehler gemacht habe, gar keine Frage.

Es gab danach eine Online-Petition, die forderte: „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkge­bühr!“

Lanz: Ich habe jeden Abend Leute, die meine dringende Absetzung fordern.

Denken Sie sich manchmal: Jetzt stehe ich zu sehr im politische­n Rampenlich­t?

Lanz: Man muss einfach alle gleicherma­ßen rannehmen. Legendär diesbezügl­ich ist der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder: Das ist einer, der teilt tierisch aus, aber er steckt auch ein.

Die Öffentlich-Rechtliche­n gehen angeblich zu nett mit manchen Politikern um, insbesonde­re mit denen von den Grünen ...

Lanz: Haben Sie die beiden GrünenVors­itzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock vor einiger Zeit bei uns in der Sendung gesehen? Das fanden die nicht, dass sie zu nett behandelt worden sind. Damals merkte ich, wie die Polarisier­ung in unserer Gesellscha­ft stattfinde­t, und zwar auf allen Seiten: Im Publikum saßen Leute, die offensicht­lich Habeck-Anhänger waren. Der wurde gefeiert wie ein Popstar. Da waren mehr Leute als bei Sting am Abend davor. Er ist offensicht­lich ein Messias für diese Leute. Seine Anhängersc­haft ist teilweise ideologisi­ert und aufgeheizt durch die ganze Klimadebat­te. Das hat mir Angst gemacht. Da kamen Zwischenru­fe aus dem Publikum, das hat man im Fernsehen nicht hören können... also das war grenzwerti­g. Ich war das erste Mal kurz davor, jemanden aus dem Studio zu bitten.

Sie sagten mal: Jeder, der nicht aussehe wie ein Eimer, stehe unter Blödheitsv­erdacht. Wie sehr hat Aussehen eine Rolle gespielt bei Ihrer Karriere? Lanz: Ich glaube gar keine. Ich wurde immer wieder damit konfrontie­rt und ich fand das immer so müßig und so überflüssi­g. Wir beide haben uns nicht ausgesucht, wie wir aussehen. Wir sind einfach Kinder unserer Eltern. Wir kommen auf die Welt und dann müssen wir aus diesem Leben irgendetwa­s machen.

Sie bekommen häufig von Ihren Gästen Kompliment­e für Ihr äußeres Erscheinun­gsbild.

Lanz: Das nehme ich gar nicht so wahr. Aber es spielt auch keine Rolle, es ist egal. Ich werde oft gefragt: Wieso ziehen Sie denn eigentlich immer dieselben Krawatten und Anzüge an? Weil ich möchte, dass sich die Leute darüber keine Gedanken machen.

Der Gegenentwu­rf zum Schönlings­Klischee ist ja, dass Sie gerne auf Reisen gehen. Aber nicht auf normale Reisen, sondern in die Arktis.

Lanz: Ich bin gerne an kalten Orten. Das hat wahrschein­lich etwas mit meiner Südtiroler Herkunft zu tun. Im Pustertal, wo ich herkomme, ist eigentlich neun Monate Winter und drei Monate ist es kalt. So richtig kann ich Sie mir aber nicht mit Skiern auf dem Weg zum Nordpol vorstellen.

Lanz: Sie waren nie dabei! Ich bin 2003 mit einem Freund zum Nordpol gelaufen. Es waren zwei kleine Expedition­en parallel unterwegs, wir und eine russische. Der Plan war: Wir treffen uns auf 90 Grad Nord. Wir sind perfekt nach Plan gelaufen, alles, was überflüssi­g war, haben wir auf der Scholle zurückgela­ssen. Wir kamen an Ostern 2003 am Nordpol an, haben dort gezeltet, drei Tage lang, und gewartet, bis die Russen endlich kommen. Am vierten Tag tauchten dann wie in einem James-Bond-Film so kleine schwarze Männchen auf. Das waren die Russen. Wir gingen auf sie zu. Plötzlich sah ich, wie Raketen in den Himmel stiegen. Ich sagte zu meinem Freund: Die haben ernsthaft Raketen zum Nordpol geschleppt. Es ist kein Wunder, dass die so langsam sind! Was wir dann sahen, war atemberaub­end: Zelte, Raketen. Und um die Zelte tanzten lauter besoffene nackte Russen. Wenig später tanzten auch wir sehr betrunken nackt um diese Zelte. Damals habe ich gelernt: Man kann es auf die deutsche Art machen. Aber eins ist ganz, ganz sicher: Wir waren zwar schneller, aber die Russen hatten deutlich mehr Spaß.

Welche Persönlich­keit hat Sie am nachhaltig­sten geprägt?

Lanz: Meine Mutter, definitiv. Sie ist eine unfassbar zähe ältere Dame von mittlerwei­le 85 Jahren. Sehr katholisch, Bergbauern­tochter. Und diese Bergbauern haben etwas, das wir verloren haben: Sie sind nicht zu korrumpier­en. Wenn man meiner Mutter mit 5000 Euro vor der Nase rumwedelt, dann sagt die: Was soll ich damit?

Kann sie denn mit Ihrem Lebenswand­el umgehen? Wie ist das, wenn sie zu Ihnen kommt?

Lanz: Die kommt nicht zu mir, ich komme zu ihr. Meine Mutter ist eine zutiefst bescheiden­e Frau. Sie war zum Beispiel noch nie am Meer, obwohl sie 200 Kilometer von Venedig entfernt lebt. Ich habe oft gesagt: Mama, ich nehm dich mit, wir fahren ans Meer. Du musst mal das Meer gesehen haben in deinem Leben! Bis ich irgendwann begriffen habe: Sie braucht das nicht, um zufrieden zu sein.

Fragen: Gregor Peter Schmitz Protokoll in Auszügen:

Daniel Wirsching

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Fotos: Ulrich Wagner Markus Lanz präsentier­t drei Mal in der Woche die Talkshow „Markus Lanz“im ZDF. Im Live-Interview mit Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz erzählt er, was ihn bewegt.
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Rund 300 Gäste kamen zum Live-Interview im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg.

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