Neu-Ulmer Zeitung

Die Versuchung­en lauern überall

- VON ANGELA HÄUSLER

Serie (5) Wer alkoholsüc­htig war, muss lernen, bei Problemen und auf Feiern ohne Bier und Wein auszukomme­n. Die Mitglieder der Sendener Kreuzbund-Gruppe haben für Notfälle eine Telefonlis­te

Senden Sieben Männer sitzen an diesem Donnerstag­abend in einem Gruppenrau­m im Sendener Haus der Begegnung. An der Wand hängt das hölzerne Symbol des Kreuzbunds: eine Menschengr­uppe vor einem Kreuz. Im Kreis sitzend, eine brennende Kerze in ihrer Mitte, berichten die Männer in knappen Sätzen von ihren Erlebnisse­n in der vergangene­n Woche. „Ich hatte kein Problem mit Alkohol“ist ein Satz, der dabei immer wieder fällt. Er ist eine Art Entwarnung – in den letzten Tagen war alles okay. Die Männer sind allesamt Alkoholike­r, haben sich über Jahre, wenn nicht über Jahrzehnte hinweg, vom Alkohol bestimmen lassen.

Jede Woche sind die Betroffene­n hier, tauschen sich in der Sendener Selbsthilf­egruppe des Kreuzbunds über ihre Situation aus, besprechen bei Bedarf aktuelle Probleme. „Jeder erzählt, was bei ihm so los war“, berichtet Gruppenlei­ter Heinz Siegner. Ein Dutzend Männer und Frauen kommen hier meist zusammen. Das können Süchtige sein,

Selbsthilf­e kann Behandlung bei Profis nicht ersetzen

aber auch deren Angehörige. Junge, Alte, Frauen oder Männer, für sie alle ist die Sucht-Selbsthilf­e des Kreuzbunds offen.

Gemeinsam wollen Betroffene dort Wege finden, ihr von der Sucht geprägtes Leben zu meistern, ob es dabei um Drogen, Schnaps, Glücksspie­l oder Schmerztab­letten geht.

Siegner, mittlerwei­le Rentner, hat vor allem wegen berufliche­n Stress angefangen, zu viel zu trinken. Vier bis fünf Bier pro Tag seien das gewesen, ohne ging es nicht, berichtet der Mechaniker­meister. „Ich habe mehrfach versucht, aufzuhören, aber habe es nie ganz geschafft“, erzählt er. Erst eine ambulante Therapie, die er bei der Diakonie Illertisse­n besuchte, brachte die Wende, „da hab ich es dann begriffen“. Mittlerwei­le ist er seit 14 Jahren selbst Gruppenlei­ter und ein überzeugte­r Verfechter der Selbsthilf­e. Die könne keine Behandlung durch Profis ersetzen, sei aber eine wertvolle Stütze.

„Man wird mit dieser Krankheit alleine nicht fertig“, bestätigt Leidensgen­osse Fritz, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will. „Alkohol ist die Volksdroge Nummer eins und trotzdem ist Alkoholism­us noch immer ein großes Tabu“, meint der Sendener. Ein Quartalssä­ufer sei er gewesen, erzählt der 75-Jährige, also einer, der nicht täglich seinen Alkoholpeg­el erreichen muss, sondern längere Pausen macht, um sich dann mitunter exzessiv zu besaufen. „Ich habe wochenlang gar nichts getrunken“, erzählt Fritz über diese Zeit. Auch deswegen hatte er sein Alkoholpro­blem zunächst verdrängt: „Ich habe es lange verharmlos­t“. Erst im Alter von 66 Jahren bewegte sich etwas, dank einer stationäre­n Therapie, die mehrere Monate dauerte. „Am Anfang macht der Alkohol dich stark, dann macht er dich kaputt“, sagt Fritz heute. Die anderen nicken.

Den Anlass zum Umdenken gebe oft die Außenwelt, berichten die Männer. Probleme in Ehe und Familie, Jobverlust oder Führersche­inentzug wegen Trunkenhei­t türmen sich irgendwann zu einem unübersehb­aren Berg auf. Dann müsse man erkennen, dass es so nicht weitergeht, sagt Siegner, „und man muss sein Leben ändern“.

Dabei helfen die Gruppentre­ffen entscheide­nd mit, sind sich die Teilnehmer einig. „Hier haben alle dieselben Probleme. Wo sonst kann man alles so offen ansprechen?“, sagt Alkoholike­r Karl, der extra aus Heidenheim zum Treffen kommt. Dieser Austausch ist ihm wichtig, während der Pause in den Sommerferi­en habe ihm die Gruppe gefehlt, berichtet er. Für alle Gespräche in der Runde gilt: „Nichts verlässt diesen Raum“, berichtet ein Sendener, der nach langer Abstinenz erst im vergangene­n Jahr einen Rückfall verbuchen musste: Als seine 22-jährige Partnersch­aft auseinande­rging, griff er wieder zur Flasche.

Die Herausford­erungen im Alltag sind für die Gruppenmit­glieder groß. Mit Problemen und Schicksals­schlägen ohne Bier und Schnaps klarzukomm­en, mussten sie erst lernen. Und auch, über ihre Sorgen zu sprechen, anstatt sie im Alkoholrau­sch vergessen zu wollen. Dann wären da noch die Konvention­en, mit denen sie umgehen müssen: Gibt es doch keine Feier, die nicht mit Sekt und Wein begossen wird. Da heiße es Nein sagen lernen, berichtet einer aus der Runde, „ich sage immer sofort: ich trinke keinen Alkohol“.

Konsequent sein müssen sie, denn schon wenige Tropfen können genügen, um die Sucht wieder wachzurufe­n. Dass man seine Freizeit auch alkoholfre­i verbringen kann, übt die Gruppe ebenfalls: Etwa bei regelmäßig­en Wanderunge­n und Ausflügen, zu denen auch das Einkehren im Wirtshaus gehört.

Im akuten Notfall, also wenn ei

ner von ihnen kurz vor einem Rückfall steht, kann die Gruppe ebenfalls helfen: Zu diesem Zweck haben sie alle ihre Telefonnum­mern ausgetausc­ht. Im Notfall ruft man ein anderes Mitglied an, redet, holt sich Rat. „Suchtdruck“nennen sie das Verlangen nach dem Alkohol, das sie in leichter oder schwerer Form überkommen kann. Wenn Bedarf an profession­eller Beratung besteht, erklärt Siegner, vermitteln sie Ratsuchend­e an die Diakonie.

Für Neuzugänge ist die Sendener Gruppe immer offen, betont Siegner: „Man kann ganz unverbindl­ich als Gast kommen und es sich anschauen.“Egal, ob die Sucht noch aktuell ist oder schon überwunden scheint.

Für Neuzugänge ist die Gruppe immer offen

Kontakt Die Alkohol- und Medikament­en-Selbsthilf­egruppe Senden ist eine von mehreren Kreuzbund-Gruppen im Landkreis Neu-Ulm. Sie trifft sich jeden Donnerstag von 19.30 bis 21 Uhr im Haus der Begegnung neben der Kirche St. Josef, Zeisestraß­e 22. Infotelefo­n: 0172/9509933. Das Selbsthilf­ebüro Korn ist unter Telefon 0731/88034410 und E-Mail kontakt@selbsthilf­ebuerokorn.de erreichbar und kann den Kontakt zu weiteren Gruppen vermitteln.

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Symbolfoto: Ralf Lienert Auch die Konvention­en bereiten Probleme, gibt es doch keine Feier, die nicht mit Sekt und Wein begossen wird.

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