Betrifft: Bitte berühren
Umleitung. Einbahnstraße. Ballspielen verboten. Eltern haften für ihre Kinder. Stopp. Privatgrund. Im Winter nicht gestreut und nicht geräumt. Radfahrer absteigen. Achtung Dachlawinen. Ankleben verboten.
Der öffentliche Sprachraum ist karg und ruppig. Es dominiert der kurzatmige Befehlston. Abgrenzung geht vor Zuwendung. Verbote sind auf der Straße geradezu überverbalisiert. Und dann diese Zeile, die einen immer wieder aufs Neue aufmerken lässt. Vier Wörter, die anrühren, ob man will oder nicht – immer dann, wenn man eine Fahrkarte für die Straßenbahn zieht am Automaten. Es steht auf dem Screen: Bitte den Bildschirm berühren Neulich abends leuchtete der Schriftzug unter Regentropfen, das machte ihn noch schöner. Bitte den Bildschirm berühren.
Klar, wir leben in Zeiten des totalitär verbreiteten Touchscreens. Alle wischen unablässig auf ihren Smartphones und Tablets. Das autistische Gefingere auf Monitoren ist eine Allerweltsgeste. Im Winter tragen die Leute sogar spezielle Handschuhe, damit sie weiter auf ihrem Display herumwischen können.
Doch die Brechung dieser Routine liegt am Ticketautomaten in dem Wort „berühren.“Berühren ist kein technischer Ausdruck. Berühren ist anders aufgeladen. Die Aufforderung an Passanten, bitte den Bildschirm zu berühren, ist – gerade wenn man bloß vorbeigeht, und gar keine Fahrkarte braucht – ein wundersames Einsickern von Zärtlichkeit in die Öffentlichkeit. Feuermelder werden eingeschlagen, Tasten gedrückt, Schalter betätigt, Notbremsen gezogen. Aber berührt? Mit Berührungen verbinden wir intime Gesten zwischen Menschen, Gefühle, Besänftigung. Dann steht da so ein Automat und flüstert: Berühr’ mich, bitte. Nachts geträumt, die letzten Plastiktüten flehen: Nimm’ mich in den Arm.