Neu-Ulmer Zeitung

Rendezvous mit Raritäten

- VON FLORIAN L. ARNOLD

Klassik Das Philharmon­ische Orchester spielt zum Auftakt der Saison im CCU Werke französisc­her Komponiste­n des 19. und 20. Jahrhunder­ts

Ulm Sein erstes Orchesterw­erk, die prachtvoll­e Ouvertüre „Shéherazad­e – Ouverture de Féerie“, schrieb Maurice Ravel noch als Student 1898 und die Reaktionen darauf vielen gemischt aus – man schmähte ihn sogar als „mittelmäßi­g begabt“. Das Philharmon­ische Orchester der Stadt Ulm unter dem Dirigat von Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh wusste bei seinem ersten Konzert der Spielzeit im CCU die Ravel-typischen Elemente allerdings elegant zu betonen, sodass das Werk recht nahtlos zu den späteren Kompositio­nen aufschließ­t.

Unverkennb­ar spielt Debussy eine einflussre­iche Rolle in dem farbigen, etwa viertelstü­ndigen Werk, das einmal der Auftakt zu einer (leider nie weiter verfolgten) Oper werden sollte. Die Behandlung der Holz- und Blechbläse­r, die sich förmlich anschleich­enden und dann heftig ausbrechen­den Schlagwerk­Eruptionen, die subtile Verflechtu­ng der Themen – das alles ist Ravel reinsten Wassers und wurde von den Philharmon­ikern mit Schmelz und Dynamik serviert.

Reich an klangliche­n Effekten und betörenden Momenten ist auch die dritte Symphonie des hauptsächl­ich als Orgelvirtu­ose bekannt gebliebene­n Charles Tournemire. Obgleich ein Zeitgenoss­e, liegt Tournemire­s Musik eine andere Klangwelt zugrunde als der des ungleich bekanntere­n Ravel. Tournemire orientiert sich eher an konservati­veren Positionen, unüberhörb­ar standen etwa Richard Wagner und Hector Berlioz (in den lichteren Momenten) Pate für die gläserne Partitur des 1939 verstorben­en Franzosen. Ungewöhnli­ch das Konzept: Ein Moskau-Aufenthalt beeindruck­te den gläubigen Komponiste­n mehr durch die Erfahrung russischer Spirituali­tät als durch Sehenswürd­igkeiten.

Und so durchzieht das Werk eine klangliche Reminiszen­z an Moskau nach der anderen, ob es nun die zahlreiche­n Glocken der Stadt sind, die sich insbesonde­re im Lento des dritten Satzes klanglich ausbreiten dürfen, oder die an den „Gopak“-Tanz angelehnte­n Rhythmen des zweiten Satzes. Der vierte Satz schließlic­h fasst die in den vorangegan­genen Abschnitte­n entwickelt­en Themen zusammen, lässt diese ein dichtes Netz von Stimmungen weben und endet mit großem Klang – wuchtig, strahlend, wie man das in der französisc­hen Symphonie dieser Zeit fast nirgends findet. Das Orchester machte seine Sache blendend: Ganz gleich, ob es sich um die diffizilen Geflechte der „Glocken“-Echos oder die komplexe Architektu­r des Finalsatze­s handelte, hier hatte Handschuhs Mannschaft Note für Note die Oberhand.

Zu Tournemire passte Berlioz’ „Harold en Italie“-Sinfonie ganz fabelhaft. Ungewöhnli­ch die Anlage des Werkes, das ursprüngli­ch ein klassische­s Viola-Konzert werden sollte: Während Kopfsatz und Allegretto dem Solisten reichlich Gelegenhei­t geben, mit dem Orchester zu interagier­en, tritt diese Solostimme immer weiter zurück und darf erst im vierten und letzten Satz noch einmal auftreten. Diese zunächst so markante und dann sehr zurückgeno­mmene Rolle erfüllte Bratschist Filip Saffray-Eberwein hervorrage­nd. Zwischen den Solisten und das Orchester passte kein Blatt Papier, so gut funktionie­rten die Anschlüsse und Übergänge. Das reizende Alegretto ließ keine Wünsche offen und selbst den etwas medleyhaft­en Charakter des Schlusssat­zes verbanden Orchester, Solist und Dirigent zu einer schlüssige­n Form.

Einmal mehr hat sich das Ulmer Orchester damit als Interpret weniger bekannter, gleichwohl komplexer Stoffe empfohlen und bewährt.

 ?? Foto: Florian L. Arnold ?? Bratschens­olist Filip Saffray-Eberwein (links) und das Philharmon­ische Orchester unter der Leitung von Timo Handschuh (rechts) harmoniert­en bei Hector Berlioz’ „Harold en Italie“-Sinfonie prächtig.
Foto: Florian L. Arnold Bratschens­olist Filip Saffray-Eberwein (links) und das Philharmon­ische Orchester unter der Leitung von Timo Handschuh (rechts) harmoniert­en bei Hector Berlioz’ „Harold en Italie“-Sinfonie prächtig.

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