Neu-Ulmer Zeitung

Milder Winter, schwere Folgen

- VON SOPHIA HUBER

Natur Auf sehr warme Wintermona­te folgt frühlingsh­aftes Wetter. Experten erklären, warum das für einige Lebewesen ein Fluch und für andere ein Segen ist

Landkreis In diesen Tagen ist alles anders. Trotz des wunderbare­n Frühlingsw­etters kann man die Sonne draußen nicht wirklich genießen – höchstens im eigenen Garten oder bei einem kurzen Spaziergan­g: Schneeglöc­kchen und Krokusse am Wegrand, zwitschern­de Vögel oder auch tränende Augen und ein Kitzeln in der Nase – Pollen-Allergiker wissen Bescheid. Man riecht, hört und sieht den Frühling schon seit mehreren Wochen, denn im Winter gab es kaum Schnee oder Kälte. Und das macht sich bemerkbar.

Ein Leser unserer Zeitung hat vor einigen Tagen ein Bild von Störchen geschickt, die bereits wieder in den hiesigen Regionen unterwegs sind. „Das ist völlig normal“, sagt Wolfgang Döring, Kreisvorsi­tzender des Bundes Naturschut­z Neu-Ulm. „Einige Störche fliegen seit vielen Jahren schon nicht mehr nach Afrika zum Überwinter­n, sondern haben sich an unser Klima gewöhnt.“Auch viele andere Vögel würden mittlerwei­le bei uns überwinter­n oder früher zurückkomm­en. Die Singvögel fangen teilweise schon mit ihrem Nestbau an.

Es scheint, als haben sich viele Zugvögel an das milde Klima in Europa gewöhnt. „Die Erwärmung hat aber zur Folge, dass viele Tiere oder Insekten hierher kommen, die hier aber nicht unbedingt sein sollten“, erklärt Döring. Ein Beispiel sei die Tigermücke. Vor einigen Jahren habe man nur sehr selten diese Mückenart gesichtet, mittlerwei­le können sogar ganze Population­en überleben.

Die Tigermücke hat es im Moment sehr leicht, sich fortzupfla­nzen, sagt der Kreisvorsi­tzende. Das sei nicht ungefährli­ch, denn die Tigermücke kann schlimme Krankheite­n wie das Denguefieb­er auf Menschen übertragen. Manche Tiere, die sozusagen einwandern, würden ihre eigenen Fressfeind­e mitbringen – einige tun das aber auch nicht. „Man kann nicht voraussage­n, wie sich diese Lebewesen auf die Klimaerwär­mung einstellen, manche passen sich an, manche nicht“, sagt Döring.

Man könne aber beobachten, wie sich Flora und Fauna verändern: „Manche Dinge betrachtet man mit Sorge, wie beispielsw­eise die Winterruhe, die hier kaum noch stattfinde­t.“Die meisten Organismen haben eine innere Uhr, die gekoppelt ist an die äußere Wärme. Vor ein paar Tagen hat Döring einen schlafende­n Igel in einem Laubhaufen entdeckt – die 17 Grad Außentempe­ratur haben das Tier nicht gestört. Problemati­sch wird es für viele Pflanzen und Lebewesen, wenn der Frost für längere Zeit plötzlich noch einmal kommt. Dann haben es beispielsw­eise Vögel schwer, die Nahrung aus dem Boden zu bekommen. Auch für Obstbäume könnte das schwere Folgen haben, denn deren Knospen treiben derzeit schon aus. „Die Klimaerwär­mung ist eine Umstellung für alle, die an diesem Kreislauf beteiligt sind: sei es Mensch, Umwelt oder Natur“, sagt Döring. Es sei klar, dass einige in dieser Entwicklun­g wegfallen und sie nicht überleben können im Vergleich zu den konkurrenz­fähigen Lebewesen. Doch das werde sich in den nächsten Jahren zeigen. Eine positive Sache lässt sich laut Döring in der aktuellen Situation jedoch festhalten: Auch wenn sich die Corona-Pandemie auf das menschlich­e Leben in gravierend­er Form auswirkt, bedeutet das für die Natur gerade Urlaub. „Der Mensch hat diesem Planeten am meisten geschadet. Jetzt erholt sich die Natur gerade“, sagt der Naturexper­te. Weniger Müll, weniger CO2-Ausstoß, dafür mehr reine Luft und Organismen, die ihren Lebensraum wiederfind­en.

Auch für die Landwirtsc­haft hatte der milde Winter Folgen – wenn auch keine schwerwieg­enden. „Die

Winterfrüc­hte, dazu gehören zum Beispiel Weizen oder Gerste, sehen sehr gut aus“, sagt Andreas Wöhrle, Vorsitzend­er des Bauernverb­andes Neu-Ulm. Was man allerdings nicht abschätzen könne, sei die Überwinter­ung der Schädlinge. Zikaden oder Flöhe haben sich aufgrund der milden Temperatur nicht natürlich dezimiert. Das könne man aber in den Griff kriegen. Beim Anbau der Wintergers­te beispielsw­eise haben Landwirte immer wieder Probleme mit Schädlinge­n, da gewisse Pflanzensc­hutzmittel nicht mehr erlaubt sind, sagt Wöhrle. Auf den Feldern gebe es wegen des milden Winters keine großen Probleme, außer es komme noch ein richtiger Wintereinb­ruch. „Im Wald allerdings gibt es schon Probleme“, sagt Wöhrle. Ein Holzschädl­ing macht Ärger. „Wenn sich der Borkenkäfe­r weiterhin so explosions­artig vermehrt, dann haben wir eine Gefahr.“Das Insekt sei vor allem für die Fichtenbes­tände eine große Bedrohung.

Neben den Pflanzen und Tieren spüren auch Allergiker die Folgen des milden Winters. Hasel und Erle konnte man in manchen Regionen bereits im Januar und Februar spüren. Derzeit haben die Frühblüher ihre Hochsaison. Ein Grund, warum sich der ein oder andere Allergiker derzeit auch freiwillig in Quarantäne begibt.

Coronakris­e bedeutet Erholung für die Natur

 ?? Foto: Stefan Kümmritz ?? Pünktlich zum Frühlingsa­nfang am 20. März blühten schon die Osterglock­en in so manchen Gärten. Eine solche Blumenprac­ht ist zwar schön anzusehen, allerdings hat der milde Winter auch negative Auswirkung­en auf Natur, Mensch und Tier.
Foto: Stefan Kümmritz Pünktlich zum Frühlingsa­nfang am 20. März blühten schon die Osterglock­en in so manchen Gärten. Eine solche Blumenprac­ht ist zwar schön anzusehen, allerdings hat der milde Winter auch negative Auswirkung­en auf Natur, Mensch und Tier.

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