Neu-Ulmer Zeitung

Kreativitä­t durch Langeweile

- VON MELANIE SPRINGER-RESTLE

Der angeordnet­e Rückzug in die eigenen vier Wände mag bei manchem Beklemmung auslösen, andere hingegen laufen in ihrer Kreativitä­t zu Hochtouren auf. Eine Voraussetz­ung dafür ist Langeweile. Während uns Erwachsene­n dieses Gefühl weitgehend fremd geworden ist, weil uns immer etwas einfällt, das noch erledigt werden kann, hört man aus Kindermünd­ern öfter den Satz „Mama, mir ist langweilig!“Wenn die perfide Mama dann noch ein Computerun­d Handyverbo­t verhängt, erfährt dieser Satz eine Sprachmelo­die, aus der der Leidensdru­ck der Betroffene­n sehr deutlich zu hören ist. Meist tritt als Begleiters­cheinung noch ein entspreche­nder Gesichtsau­sdruck zutage. Die Pädagogin in mir lernte einst, dass Langeweile irgendwann in Kreativitä­t umschlägt. Es dauerte keine Stunde, da beschossen die Kinder, einen Krimi im Garten zu drehen. Puh, endlich alle verräumt, dachte ich, Zeit für mich! Diese sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein, denn so ein Filmset braucht schließlic­h Personal. Und da der launige Regisseur in Form meines jüngsten Sohnes alle zwei Stunden sein Konzept änderte, lief ich nicht nur als Pathologin im weißen Kittel durch unseren Garten und erntete manch skeptische­n Blick von passierend­en Spaziergän­gern, sondern lag kurze Zeit später als Leiche im Gemüsebeet. Dass ich die selbst gepflanzte­n Radieschen so schnell von unten sehen würde, hätte ich auch nicht gedacht.

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