Starke Exekutive, ja – aber mit Kontrolle
Leitartikel Die Krise zeigt den Wert offener Gesellschaften, in denen Informationen auf Fakten und Recherche beruhen. Deswegen müssen uns diese auch etwas wert sein
der Nachrichtenagentur
das Arbeiten, weil ihnen deren Berichte über Opferzahlen nicht passten. In Afrika, aber auch in Osteuropa versuchen Mächtige die Krise zu nutzen, um die lästige Demokratie abzuschaffen. Und in China – das manchen als KrisenVorbild gilt – weiß keiner, wie zuverlässig Informationen zu Corona sind, denn kritische Stimmen wurden mundtot gemacht.
Verglichen damit ist die Lage der Medien in Deutschland natürlich besser. Das heißt aber am Tag der Pressefreiheit keineswegs, dass alles gut ist. Auch wir stoßen in dieser Krise an Grenzen – und spüren eine neue Form der Kritik: Wir seien mal Aufhetzer, mal Abwiegler, mal zu regierungsgesteuert, mal zu rebellisch.
Medienkritik ist völlig in Ordnung, wir sind Menschen und machen Fehler. Die Krise ist für uns alle Neuland, ähnlich wie für die Politik und selbst die Virologen. Wir können daher gar nicht versprechen, immer richtig zu gewichten. Wir können aber versprechen, dass wir uns an Maßstäbe halten: Recherche, eine objektive Sichtweise,
nicht getragen von einer Agenda und nicht beeinflusst von der Politik. Sondern von den Fakten: Wenn in unseren Netzwerken auf einmal Ibuprofen als coronafördernd gilt, wenn in den USA der Präsident suggeriert, man könne gegen Corona Desinfektionsmittel injizieren oder in Indien Millionen Menschen auf der Straße klatschen, weil in sozialen Netzwerken stand, so lasse sich das Virus vertreiben, müssen Medien sagen: Nee, stimmt nicht.
Der Ökonom Amartya Sen hat den Nobelpreis gewonnen für seine Forschung, dass eine demokratische – und kritische – Öffentlichkeit Hungersnöte unwahrscheinlicher mache. In offenen Gesellschaften sind auch Corona-Eskalationen zumindest weniger wahrscheinlich. In China wäre es womöglich nie zum Ausbruch gekommen, wenn die Mächtigen dort nicht so viel verschweigen könnten. Im stark betroffenen Italien leiden Medien seit langem unter der Kontrolle durch wenige Familien. Und in den USA haben viele Anhänger des Präsidenten keinen Zugang mehr zu objektiven Informationen (oder wollen die gar nicht).
In einer offenen Gesellschaft ist es aber auch nicht Aufgabe der Medien, eine Regierungslinie (oder Virologenlinie) durchzusetzen, sondern diese kritisch zu begleiten. Unsere Aufgabe ist, in der Krise Fragen zu stellen: Warum? Wie lange? Zu welchem Preis?
Ist die Krisenstunde also die Stunde der Medien? Gewiss, wir erreichen so viele Leser wie nie zuvor. Doch zugleich trifft uns Corona hart, die Werbeeinnahmen brechen ein. Viele Verlage, auch unserer, gehen in Kurzarbeit, damit wir liquide bleiben. Man muss darüber nicht groß klagen, so viele Branchen haben gerade Probleme. Man darf aber schon daran erinnern, wie wichtig unsere Aufgabe bleibt. Oft ist nun die Rede von der Stunde der Exekutive. Doch eine starke Exekutive ohne starke Presse ist eine unkontrollierte Exekutive.
Medien müssen die Regierung kritisch begleiten