Eine unmögliche Liebe
Porträt Eine Frau aus der Bodensee-Region verlobt sich mit einem Mann, der in den USA im Todestrakt sitzt.
Ob er wirklich ein Doppelmörder ist, spielt für sie keine Rolle. Und trotzdem sind da jede Menge Zweifel
die Corona-Pandemie diktiert. Abgesehen vom Einreiseverbot für Europäer in die USA, gibt es gerade ohnehin keine Fluglinie, die Clara nach Las Vegas bringen könnte. Wo sie in einen der verhassten Mietwagen steigen und die 260 Meilen Richtung Norden durch die Wüste zu Michael fahren würde. Ausnahmsweise in Begleitung ihrer besten Freundin, wegen der Hochzeit.
Womöglich wird alles nur noch komplizierter – ausgerechnet wegen des Aussetzens aller Hinrichtungen im Staat Nevada. „Es könnte jetzt sein, dass Michael verlegt wird“, sagt Clara. In ein Gefängnis mit niedrigerer Sicherheitsstufe.
Kein Grund zur Freude? „Nicht für Michael.“Der 55-Jährige verzichte in Ely auf die wenigen Gelegenheiten, mit anderen Häftlingen zusammenzukommen. Auch der Hofgang sei ihm nicht wichtig. Michael versuche, sich von den anderen Leuten fernzuhalten, verbringe seine Zeit mit Lesen und Nachdenken in seiner Zelle. „Außerdem könnte eine Verlegung bedeuten, dass in Sachen Heirat alles noch mal von vorne losgeht.“Es könnte sein, dass der Gefängnis-Priester des neuen Knasts wieder die Redlichkeit der Absichten von Clara und Michael überprüft – und vielleicht zu einer anderen Haltung kommt als der Geistliche von Ely.
Clara weiß es nicht. Wie so vieles. Ob Michael auf seinen baldigen neuen Prozess hoffen darf. Wie so ein Verfahren wohl ausgehen würde. Ob sie das dringend benötigte Geld für bessere Anwälte jemals zusammen bekommt. Ob eine Existenz in Freiheit mit Michael, einem Mann, dem sie in ihrem Leben nur ein paar Stunden gegenüberstand, den sie
Ob ein gemeinsames Leben in Freiheit gutgehen würde?
nur ein paar Mal berührt hat, einem wie auch immer aussehenden Alltag standhalten würde. Ob einen Teil des Reizes einer solchen Beziehung auch ausmacht, dass sich diese Frage bis auf Weiteres erst gar nicht stellt.
Viele Obs für ein ungleiches Paar, dessen Liebe auf so viele Arten unmöglich scheint. Von der Sehnsucht, sich auch körperlich näher zu kommen, ganz zu schweigen. Ein Todestrakt sieht Intimitäten auch unter Verheirateten nicht vor. Ob das in einem anderen Gefängnis mit niedrigerer Sicherheitsstufe anders wäre? Ungewiss. Der Kreis der Menschen, die Clara unterstützen, sei sehr überschaubar, sagt sie. Kein stabiles Netz, in dem sich die 35-Jährige bewegt.
Am Ende des Gesprächs ist der Anruf von Michael ausgeblieben. „Man glaubt dann immer gleich, vielleicht ist ja was passiert. Aber warum sollte es nach all der Zeit ausgerechnet jetzt so sein?“Ein paar Tage später wird Clara berichten, dass er sich doch noch gemeldet hat. Es sei alles okay. Er warte ab, was jetzt passiere. Wie bisher auch. Und wie in Zukunft.