Neu-Ulmer Zeitung

Wie Corona das Gezerre um die Kinder verstärkt

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Familie Wenn Vater und Mutter getrennt leben, führt das Virus zu ganz neuen Problemen. Weil es bisweilen als Waffe eingesetzt wird,

um dem Ex-Partner den Kontakt zu erschweren. Darunter leiden vor allem die Kleinen. Die ersten nehmen schon Reißaus

Umgangselt­ern berichten davon, dass sie Probleme dabei hatten, ein Hotelzimme­r oder eine Ferienwohn­ung zu buchen. Auch bei Freunden unterzukom­men, sei nicht erlaubt. „Um sein Kind sehen zu können, holt der Elternteil es also ab und fährt für ein Wochenende zu sich nach Hause und dann wieder zurück“, weiß Rudolph von seinen Mandanten. Es komme durchaus vor, dass manch Vater oder Mutter an einem Wochenende vier Mal durch Deutschlan­d fahren muss. Das müsste nicht sein, wenn der andere Elternteil kooperiere­n und die Umgangszei­t verlängern würde. Aber wenn der andere nicht will …

…Dann könnten höchstens Gerichte den Elternteil zum Kooperiere­n zwingen. In der Praxis heißt das etwa: Umgangslis­ten festlegen, Zwangsgeld­er anordnen. Die meisten Fälle von coronabedi­ngter Umgangsver­letzung landen aber noch gar nicht vor Gericht, sagt Rudolph. Beim Familienge­richt in Augsburg gab es noch keinen Anstieg an Anträgen. Doch der wird bald kommen, ist sich die Augsburger Familienre­chtsanwält­in Annette Bieber sicher. Noch hielten betroffene Elternteil­e sich mit Anträgen zurück. Täglich bekomme sie aber Anrufe aufgebrach­ter, verunsiche­rter Väter, die Fragen haben, die ihrem Unmut, ja, ihrer Wut und Ohnmacht Luft machen. Sie rät allen erst einmal dazu, Ruhe zu bewahren, mit dem/der Ex zu sprechen. „Momentan ist Kommunikat­ion viel, viel wichtiger, als Recht zu bekommen vor Gericht“, sagt sie. Drei bis fünf Wochen des Pandemie-Umgangsthe­aters ließen sie sich gefallen, zumal viele wüssten, dass Familienge­richte, Jugendämte­r und Beratungss­tellen im Moment nur eingeschrä­nkt arbeiten und Rückendeck­ung geben können. Das werde sich mit der Verlängeru­ng der Corona-Maßnahmen aber ändern, ist sich Annette Bieber sicher.

Noch etwas ist der Augsburger Rechtsanwä­ltin in Corona-Zeiten aufgefalle­n: „Für manche Kinder ist der psychische Druck daheim bereits so groß, dass sie nun sogar ausreißen und bei Freunden oder dem

„Kommunikat­ion ist viel wichtiger, als Recht zu bekommen.“

Annette Bieber

anderen Elternteil auftauchen.“Auch Rudolph kennt solche Fälle. „Es sind meistens die starken Kinder, die so etwas tun“, sagt er. Das Problem sei damit aber nicht gelöst, der Streit gehe weiter.

Die Augsburger Familienre­chtlerin Annette Bieber hält es für ein ernstes Problem, dass Eltern die Pandemie ausnutzen wollen, um den Umgang zu verhindern. „Aber ich denke, die Gerichte werden mit der Zeit immer unduldsame­r, wenn das weiter so oft missbrauch­t wird.“Ihr Kollege Rudolph hat bereits „ein seltenes Muster“beobachtet: Bundesweit lehnen Gerichte das Argument „wegen Pandemie“als Begründung für Umgangsaus­setzung ab. So auch im eingangs erwähnten Fall. Da kam sogar die Idee ins Spiel, dass das Kind auch eine Zeit lang beim Vater leben könnte – in Zeiten von Homeschool­ing ist es schließlic­h nicht mehr an einen festen Ort gebunden.

Zum Schluss noch eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: Alle hier erwähnten Experten kennen auch Fälle, in denen zuvor zerstritte­ne Eltern in diesen Tagen plötzlich kooperiere­n. Nicht viele, aber es gibt sie. Die schlechte Nachricht: Jürgen Rudolph, Annette Bieber, Ute Gagesch und Sabine Walper gehen davon aus, dass die Ausgangsbe­schränkung­en und der psychische Druck sich auch negativ auf bestehende Beziehunge­n auswirken werden. Sie rechnen mit einer Trennungsw­elle, mit neuen Scheidunge­n, neuen Trennungsk­indern – wegen Pandemie.

 ?? Foto: Pixel-Shot, stock.adobe.com ?? In vielen Trennungsf­amilien ist das Gezerre um die Kinder ohnehin groß. In Corona-Zeiten wird das Problem häufig noch größer.
Foto: Pixel-Shot, stock.adobe.com In vielen Trennungsf­amilien ist das Gezerre um die Kinder ohnehin groß. In Corona-Zeiten wird das Problem häufig noch größer.
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