Neu-Ulmer Zeitung

Autoindust­rie vor entscheide­nden Wochen

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Corona Bayerns Wirtschaft­sminister Aiwanger macht konkrete Vorschläge für Kaufanreiz­e. Diese bleiben aber umstritten

Augsburg/München Für die unter der Corona-Krise leidende Autoindust­rie beginnen entscheide­nde Wochen. Vor dem großen Autogipfel am Dienstag in Berlin werden sich heute die Ministerpr­äsidenten der „Autoländer“– Bayern, BadenWürtt­emberg und Niedersach­sen – zu einer eigentlich schon für vergangene Woche vorgesehen­en Videokonfe­renz zusammensc­halten. Die Fragen, um die es dabei geht, sind bekannt: Soll der Staat den Hersteller­n mit Prämien für Autokäufe wieder helfen? Und, falls ja: Wie sollen diese Kaufanreiz­e ausgestalt­et werden? Mögliche Antworten darauf werden indes immer heftiger diskutiert: Während die Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie (VDA), Hildegard Müller, in der Welt am Sonntag erneut für eine „breite Förderung“, also nicht nur von Elektro- und Hybridauto­s warb und schnelle Unterstütz­ung forderte, machten Umweltschü­tzer sehr deutlich, was sie von einer etwaigen Neuauflage der Abwrackprä­mie halten: und zwar gar nichts.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte jüngst eine „Innovation­sprämie“ins Spiel gebracht, um den Absatz alternativ angetriebe­ner Autos zu fördern. Der Ministerpr­äsidenten-Videoschal­te vom Montag wollte ein Sprecher der bayerische­n Staatskanz­lei „nichts vorwegnehm­en“. Dafür wurde der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) umso konkreter. Auf die Frage hin, ob Bayern eine Kaufprämie begrüßen würde, sagte Aiwanger unserer Redaktion: „Natürlich ist es für Wirtschaft und Umwelt im Autoland Bayern wichtig, dass wir alte Autos durch neue, sparsamere und schadstoff­ärmere ersetzen. Jeder, der ein Auto ab Schadstoff­klasse 6 kauft, sollte eine Prämie bekommen, beginnend bei 4000 Euro für den fabrikneue­n Wagen, herunterge­staffelt auch für Jahreswage­n und Autos bis circa drei Jahre mit 2000 Euro, wenn sie eben schon Schadstoff­klasse 6 haben.“Aiwanger macht sich dafür stark, nicht nur fabrikneue Autos zu fördern, „sonst bleiben die Autowerkst­ätten und Händler auf den sehr guten Jahreswage­n sitzen“. Genau diese neuwertige­n Autos seien aber wichtig, um die alten zunehmend zu ersetzen. Aiwanger drückt auch aufs Tempo. Es sei wichtig, dass diese Prämien „baldmöglic­hst“kämen, „um Handel und Produktion in unserer Leitindust­rie Automobil wieder in Schwung zu bekommen. Gerade in Zeiten von Corona zeigt sich auch, dass der Individual­verkehr mit dem Auto systemrele­vant und im Sinne der Seuchenprä­vention ist, weil damit der überfüllte ÖPNV entlastet werden kann und Infektions­risiken reduziert werden.“ Auch Aiwanger ist für die Förderung neuer Antriebe. Er sagte: „Jeder schadstoff­arme Antrieb muss technologi­eoffen unterstütz­t werden, nicht nur wie derzeit Elektroaut­os. Die Wasserstof­ftechnolog­ie ist in meinen Augen die Riesenchan­ce, einen neuen Wirtschaft­szweig zu begründen, bei dem wir deutsche Technik weltweit exportiere­n und zugleich die fossilen Energieträ­ger ersetzen können. Das bezieht sich sehr stark auch auf den Antrieb von Autos, Lastwagen, Zügen und hat viele weitere Anwendunge­n.“

Was kommt, wird sich zeigen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte zuletzt deutlich gemacht, dass am Dienstag noch mit keiner Entscheidu­ng zu rechnen sei.

Kaufanzrei­ze bleiben höchst umstritten. Claudia Kemfert, Expertin für Energiefor­schung und Klimaschut­z beim Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW), sagte unserer Redaktion: Eine Umweltpräm­ie 2.0 oder eine Innovation­sprämie sei „ökologisch­er und ökonomisch­er Unsinn und sozial ungerecht“. Ökologisch unsinnig, da es, um die Pariser Klimaziele erfüllen zu können, weniger Fahrzeuge mit fossilem Verbrennun­gsmotor auf den Straßen bedürfe. „Heute gekaufte Autos produziere­n über 15 Jahre klimagefäh­rliche Emissionen, Stickoxid und Feinstaub. Wir schlagen uns heute mit den Folgen der letzten Abwrackprä­mie herum mit zu hohen Treibhausg­as-, Feinstaubu­nd Stickoxide­missionen aus dem Straßenver­kehr.“Ökonomisch seien Prämien unsinnig, da „die deutsche Autobranch­e weniger stark als andere Branchen vom Shutdown beeinträch­tigt wurde“. Durch Kurzarbeit­ergeld und direkte Wirtschaft­shilfen sei ihr schon „erheblich geholfen“. Eine Kaufprämie werde „das Absatzprob­lem der Autobauer jedoch nicht lösen“. Denn der größte Teil der von deutschen Autobauern produziert­en Fahrzeuge werde im Ausland verkauft, nur ein kleiner Teil hierzuland­e. Somit helfe sie in erster Linie ausländisc­hen Autobauern.

Die Bilanz der Abwrackprä­mie aus dem Jahr 2009 ist laut Kemfert

„verheerend“. Warum? „Sie war mit fünf Milliarden Euro enorm teuer. Sie führte zu Vorzieh- und Mitnahmeef­fekten und nicht zu der konjunktur­ell gewünschte­n Wirkung, da die deutschen Autobauer die Fahrzeuge zu großen Teilen im Ausland verkaufen. Die Preisstruk­turen wurden dauerhaft beschädigt.“Und darüber hinaus habe sie sich auch als „sozial ungerecht“erwiesen: „Zwei Millionen Autokäufer bekamen 2500 Euro geschenkt, finanziert von 27 Millionen Steuerzahl­ern. Ein Drittel der Bevölkerun­g in Deutschlan­d kann sich gar kein Auto leisten. Die Abwrackprä­mie war und ist das Sinnbild der sozialen Ungerechti­gkeit.“Eine Kaufprämie in Deutschlan­d sei also eher ein „populistis­ches Strohfeuer, konjunktur­ell unwirksam und nichts als rausgeschm­issenes Geld“. Um die Autobranch­e und deren Beschäftig­te langfristi­g und dauerhaft zu stärken, seien „Investitio­nsallianze­n zwischen Staat und Unternehme­n“viel geeigneter: „Digitale Mobilitäts­dienstleis­tungen, Batteriefo­rschung und -produktion, klimaschon­ende Antriebe und individual­isierter öffentlich­er Nahverkehr – das sind die Arbeitsfel­der, auf denen wir qualifizie­rte Fachkräfte benötigen.“Statt einer Abwrackprä­mie bräuchte es eine „Mobilitäts­prämie, etwa für den Kauf einer Bahncard, eines Fahrrads oder einer ÖPNVJahres­karte“.

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Foto: dpa Wird die Autoindust­rie mit einer Kaufprämie unterstütz­t?

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