Neu-Ulmer Zeitung

Wie viele Menschen steckt ein Infizierte­r in Bayern an?

- VON JONATHAN LINDENMAIE­R

Pandemie

So hat sich die Reprodukti­onszahl im Freistaat bislang entwickelt. Das sagen Experten dazu

Augsburg Über die Reprodukti­onszahl im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s wird gerade diskutiert, als sei sie eine Art Glaskugel, durch die wir in die Zukunft sehen könnten. Liegt sie über eins, steckt jeder Infizierte mehr als eine weitere Person an, das heißt, auch die Neuinfekti­onen werden steigen. Liegt sie unter eins, werden sie sinken. Für Bayern sagt die Reprodukti­onszahl derzeit eine positive Entwicklun­g voraus. Auf „unter eins“hatte Markus Söder sie beziffert, sogar niedriger als der deutschlan­dweite Durchschni­tt.

Das ist eine gute Nachricht, aber: „Wir haben nach wie vor viele Neuinfekti­onen in Bayern, aber die Dynamik der Epidemie ist die gleiche wie in anderen Bundesländ­ern“, sagt Helmut Küchenhoff. Er leitet das statistisc­he Beratungsl­abor der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München, das die Reprodukti­onszahl für Bayern bestimmt. Dessen Berechnung­en nach ist die Zahl fast konstant gesunken. Von einem Wert von etwa fünf zu Beginn der Epidemie auf knapp über zwei am 7. März, bis sie um den 18. März herum unter eins gesunken ist. Dort hält sie sich seither mehr oder weniger konstant. Zuletzt wurde die Reprodukti­onszahl auf 0,79 geschätzt.

Bei der Interpreta­tion müsse man aber vorsichtig sein, sagt Küchenhoff. Das gelte vor allem für den Rückgang von fünf auf zwei am Anfang der Kurve. „Der Beginn der Epidemie ließ sich schwer abbilden. Da war die Reprodukti­onszahl noch kaum bestimmbar.“

Dass die Entwicklun­g trotz hoher

Infektions­zahlen im Freistaat ähnlich verlaufen ist wie im Rest Deutschlan­ds, ist insofern logisch, als dass die Maßnahmen ähnliche waren: Schulschli­eßungen, Homeoffice, Ausgangsbe­schränkung­en.

Wenig Kontakt führt zu weniger Ansteckung­en, die Reprodukti­onszahl sinkt. Dass die absolute Anzahl der Infektione­n in Bayern höher ist, mache dabei aber kaum einen Unterschie­d.

Auffallend ist der gemeinsame Rückgang spätestens ab dem 11. März. Welche Maßnahmen konkret für den Rückgang verantwort­lich waren, lasse sich nur schwer ablesen, sagt Küchenhoff. „Zu dieser Zeit sah man in den Medien häufig die Horror-Zustände in Bergamo, außerdem hat die Bundeskanz­lerin erstmals zum Abstandhal­ten aufgerufen. Das könnte eine Rolle beim Rückgang der Zahl gespielt haben.“Wichtig sei dabei immer, auch die Zahl der Neuinfekti­onen im Blick zu haben.

Die Reprodukti­onszahl bilde aber nur einen Teil der Wirklichke­it ab.

Sie zeigt uns das, was Küchenhoff die „Dynamik der Epidemie“nennt. Ähnlich sieht das auch Lothar Wieler, Präsident des RobertKoch-Instituts. „Es ist nicht hilfreich, wenn man sich immer nur auf einen Faktor bezieht“, sagte er. Es sei zwar wichtig, die Zahl unter eins zu halten, man dürfe sie aber nicht aus dem Kontext nehmen.

Ist die Zahl der Neuinfekti­onen zu hoch, nützt auch eine Reprodukti­onszahl von knapp unter eins wenig. Das Gesundheit­ssystem würde die Last der Fälle nicht stemmen können. Gerade diese Zahl ist in Bayern aber weiterhin hoch, etwa 300 bis 400 Neuinfizie­rte verzeichne­t der Freistaat jeden Tag. Mehr als jedes andere Bundesland, aber bislang noch verkraftba­r für Gesundheit­sämter und Krankenhäu­ser.

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Foto: dpa In Bayern liegt die Reprodukti­onszahl derzeit unter eins.

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