Neu-Ulmer Zeitung

Lettlands größter Sportler

- VON ANTON SCHWANKHAR­T UND HERBERT SCHMOLL

Nachruf Der Speerwerfe­r Janis Lusis hat sich 1972 in München mit Klaus Wolfermann ein

denkwürdig­es Duell geliefert. Daraus wurde eine lebenslang­e Freundscha­ft

Augsburg In der Welt der Leichtathl­etik entscheide­n häufig zwei Zentimeter oder weniger über Medaillent­räume. Vorzugswei­se in Diszipline­n, in denen die Räume eng sind, wie im Hochsprung, Weitsprung und erst recht in den Sprints. Seltener im Speerwerfe­n, wo Topathlete­n ihr Sportgerät weit über 90 Meter werfen. Bei den Olympische­n Spielen 1972 in München aber ist es passiert. Janis Lusis, der lettische, für die Sowjetunio­n startende Modellathl­et mit den markanten Koteletten hatte im Juli den Weltrekord auf 93,80 Meter verbessert. Damals warfen die Athleten mit einem Speer, der noch erheblich größere Weiten zuließ. Als die Männerspee­re dann über 100 m weit flogen und der Weltrekord bei 104,80 stand, entschied sich der Leichtathl­etikWeltve­rband 1986 den Schwerpunk­t der Sperre zu verlagern, sodass sie kürzer flogen.

1972 aber hatte daran noch keiner gedacht. Lusis, damals schon 33 Jahre alt, 1964 Bronzemeda­illengewin­ner, 1968 Olympiasie­ger, übernahm in München erwartungs­gemäß die Führung. „Für mich galt er als unbesiegba­r“hat sein deutscher

Kontrahent Klaus Wolfermann in einer Rückschau gesagt. Doch dann trieb Wolfermann an diesem dritten September seinen Speer im vorletzten Durchgang auf 90,48 Meter. Wolfermann, sieben Jahre jünger, war ein ganz anderer Typ als der athletisch­e Lusis. Kleiner, gedrungene­r, schütteres Haar. Kurz vor den Spielen hatte er erstmals über 90 Meter geworfen. Das hat ihn immerhin zum Medaillena­nwärter gemacht. Aber Gold? Lusis hatte noch einen Versuch. Bei 90,46 Meter bohrte sich sein Speer in den Rasen. Winzige zwei Zentimeter zu wenig. Wolfermann war Olympiasie­ger. Er ging zum Letten und entschuldi­gte sich. Lusis hatte Silber und als einziger lettischer Athlet einen kompletten Olympiasat­z. Es war gleichzeit­ig der Beginn einer lebenslang­en Freundscha­ft. Lusis kommt später häufig nach München und trifft sich mit Wolfermann. Sie laden sich gegenseiti­g zum Geburtstag ein. Lusis ist verheirate­t mit Elvira Ozolina, Speerwerfe­rin, Olympiasie­gerin, sein Sohn Voldemars wird Speerwerfe­r, auch er nimmt an Olympische­n Spielen teil. „Seine Fairness war einfach vorbildlic­h“sagte der in Altdorf bei Nürnberg geborene Wolfermann einst über seinen alten Rivalen.

Noch vor den Spielen in München hatte Lusis in Augsburg einen Auftritt. Am 23. und 24. Juni 1972 fand im Rosenausta­dion der Länderkamp­f zwischen der bundesdeut­schen Nationalma­nnschaft und der UdSSR statt. Die Generalpro­be für Olympia. 35 000 Besucher waren damals in der Arena und sahen ein starkes sowjetisch­es Männerteam, das den Vergleich mit 236:196 gewann. Bei den Frauen setzte sich übrigens die deutsche Mannschaft mit 139:117 durch. Die schwäbisch­en Leichtathl­etik-Fans bekamen sogar einen Weltrekord serviert. Faina Malnik schleudert­e den Diskus auf 65,48 Meter.

In der Sowjetunio­n war Janis Lusis ein Held. Dabei hatte er als Sechsjähri­ger erleben müssen, wie Soldaten der Roten Armee 1945 seinen Vater ermorden. Vergangene Woche ist Janis Lusis, einer der besten Speerwerfe­r der Geschichte und Lettlands größter Sportler im Alter von achtzig Jahren in Riga gestorben.

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Foto: imago Einer der besten Speerwerfe­r aller Zeiten: Der Lette Janis Lusis ist im Alter von 80 Jahren gestorben.

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