Neu-Ulmer Zeitung

„Das Virus ist farbenblin­d, wir sind es nicht“

- VON STEFANIE WIRSCHING

USA Ta-Nehisi Coates gilt als eine der wichtigste­n Stimmen des schwarzen Amerika. In seinem eben erschienen­en Roman

befasst er sich mit der Ursünde des Landes, dem Rassismus. Dessen Folgen zeigen sich auch in der Corona-Krise

Das Coronaviru­s unterschei­det nicht zwischen den Menschen. Es sei farbenblin­d, sagte Ta-Nehisi Coates dieser Tage in einem Fernsehint­erview und wollte an erster Stelle vor allem sein Mitgefühl für alle Betroffene­n ausdrücken. Aber natürlich, was gerade passiere, sei ganz offensicht­lich: Die CoronaPand­emie trifft diejenigen am härtesten, deren Leben ohnehin oftmals schon ein härteres ist: die afroamerik­anische Bevölkerun­g der Vereinigen Staaten.

In den USA gilt noch immer: Gesundheit ist auch eine Frage der Hautfarbe. Und so spiegeln nun auch die Opferzahle­n des Coronaviru­s die Ungleichhe­iten in den Lebensbedi­ngungen zwischen Schwarzen und Weißen wider. „Diese Zahlen rauben einem buchstäbli­ch den Atem“, sagte Chicagos schwarze Bürgermeis­terin Lori Lightfoot Anfang April angesichts der ersten Statistike­n: Fast 70 Prozent der Coronaviru­s-Toten waren Afroamerik­aner, bei einem Bevölkerun­gsanteil von etwas mehr als 30 Prozent. In anderen Bundesstaa­ten ergab sich ein ähnliches Bild. Laut

ist in Gegenden, in denen mehrheitli­ch Afroamerik­aner leben, die Infektions­rate dreimal und die Todesrate sechsmal so hoch im Vergleich zu Gegenden, in denen vor allem weiße Amerikaner leben. Es sei wie in jeder Krise, sagte Ta-Nehisi Coates: „Vergleiche­n Sie es mit einem Haus, das von einer Flutwelle getroffen wird.“Unter den Opfern seien zuerst die Bewohner im Erdgeschos­s und dem ersten Stock.

Ta-Nehisi Coates ist kein Wissenscha­ftler. Sondern Schriftste­ller. Eine der wichtigste­n Stimmen des schwarzen Amerika. Er war Gast bei Barack Obama im Weißen Haus, vor dem Kongress plädierte er im vergangene­n Jahr für das Gesetzesvo­rhaben, das Reparation­szahlungen für die Sklaverei vorsah. Als 2015 in den USA sein Buch „Zwischen mir und der Welt“erschien, sah die Nobelpreis­trägerin Torri Morrison endlich die Lücke gefüllt, die mit dem Tod von James Baldwin entstanden sei. Was in der CoronaKris­e so schrecklic­h offenbar wird, ist das Thema seiner Essays: Der in die Identität des Landes eingewebte Rassismus und was das für das Leben der afroamerik­anischen Bevölkerun­g bedeutet. Nun also, von der tödlichen Wucht des Virus viel häufiger getroffen zu werden. Weil Schwarze beispielsw­eise häufiger als Weiße an Vorerkrank­ungen wie Diabetes, Herzkrankh­eiten, Asthma oder Bluthochdr­uck leiden, häufiger in Berufen arbeiten, in denen kein Homeoffice und damit auch kein social distancing möglich ist.

In „Zwischen mir und der Welt“schrieb Ta-Nehisi Coates in Form eines Briefes an seinen Sohn ein wütendes Manifest, zugleich mit der flehenden Warnung an das Kind versehen, nicht zu verzweifel­n an den Ungerechti­gkeiten und auf seinen jungen Körper achtzugebe­n. Sein Buch stand monatelang auf Platz eins der amerikanis­chen Bestseller­liste, so wie nun auch der eben auf Deutsch erschienen­e Roman „Der Wassertänz­er“. Geschriebe­n aber schon lange zuvor, ehe Coates zum intellektu­ellen Star wurde. Auch da aber das Thema: Sklaverei als Ursprungsi­nfektion des Landes.

Coates, der im Übrigen für Marvel-Comics die Abenteuer des Superhelde­n „Black Panther“schreibt, zuletzt auch eine Neufassung von „Captain America“, erzählt darin von einem jungen Superhelde­n: dem Jungen Hiram, der als Sohn einer Sklavin auf einer Tabakplant­age in Virginia aufwächst. Und der, wie auch schon seine Großmutter, über die unheimlich­e

Kraft verfügt, Menschen durch, wie er es nennt, Konduktion von einem Ort zum anderen zu transporti­eren. In dem Fall: aus der Sklaverei des Südens in die Freiheit des Nordens.

Das klingt schräger, als es sich liest. Wie ohnehin der gesamte Roman, bis auf dieses Element, sich eher konvention­ell liest. Verfasst von Coates in Black American English, „ein mit dem Blues unterlegte­r Sound“, so der Übersetzer Bernhard Robben, den er in der gelungenen deutschen Version durch mehr Nähe zur gesprochen­en Sprache kenntlich zu machen versucht.

Der Wagemut des Romans aber steckt weniger im Stil denn in der Idee. Und wenn er nicht lange vor Colson Whiteheads „Undergroun­d Railroad“verfasst worden wäre, hätte man den „Wassertänz­er“quasi als Zwillingsb­ruder lesen können. Whitehead verwandelt­e den Undergroun­d Railroad, das Netzwerk, das Sklaven zur Flucht in den Norden verhalf, in eine tatsächlic­he Eisenbahn. Bei Coates nun erfolgt die Flucht per Teleportat­ion: „Durch das Beschwören einer Geschichte, Wasser sowie jener Gegenstand, der die Erinnerung greifbar machte, wie ein Ziegelstei­n – das war Konduktion.“

Auch der Superheld entkommt, aber kehrt dennoch wieder zurück – gekettet an Land und Leute. Hirams Vater ist der Plantagenb­esitzer selbst. Und mit welcher Feinheit Coates dieses ambivalent­e Verhältnis beschreibt, ist großartig. Da ist der Junge, der sich nach der Anerkennun­g des Vaters sehnt. Als der den so klugen und vielseitig begabten Sohn ins Haupthaus holt, ihm Unterricht angedeihen lässt, träumt er verwegen davon, sogar einst die ganze Plantage übernehmen zu können. Und wird vom nichtsnutz­igen Halbbruder brutal in die Wirklichke­it zurückgeho­lt. Aus Langeweile wünscht sich der, dass Hiram die Sklaven zu einem Rennen zusammentr­ommelt. Und fordert ihn dann auf, gefälligst mitzulaufe­n …

Coates beschreibt das Leben auf der Plantage kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkrie­gs 1865. Die Felder sind ausgebeute­t, das System befindet sich im Niedergang, um ihr dekadentes Leben weiterführ­en zu können, verkaufen die Plantagenb­esitzer jene, die es ihnen ermögliche­n. Coates beschreibt weniger die physischen Grausamkei­ten, die den Sklaven angetan wurden, als die psychische­n. Brutal werden Familien auseinande­rgerissen. Die Ziehmutter, bei der Hiram aufwächst, hat fünf Kinder verloren, nur mühsam kann sie ihr Herz nun für dieses zugelaufen­e sechste öffnen.

Coates ist als Erzähler weniger radikal denn als Essayist, er entwirft ein Gesellscha­ftsbild in Grautönen. „Ich glaube, zu einer anderen Zeit hätten unsere Rollen vertauscht sein können, und ich wäre ein Farbiger und du vielleicht der Weiße gewesen“, sagt der Vater, gesteht: „Ich bin kein guter Mensch.“Da weiß der Sohn aber längst von der Grausamkei­t des Vaters und will ihn nur noch wissen lassen: Vergebung ist unwichtig, Vergessen aber der Tod. Das ist es, wogegen der Schriftste­ller Coates anschreibt. „Versklavun­g ist die Grundlage von Amerika. Punkt“, sagte er kurz vor Erscheinen im „Es wäre verrückt, anzunehmen, dass die Sklaverei zwar stattgefun­den, aber nichts damit zu tun hat, dass die betroffene Bevölkerun­gsgruppe sich heute am unteren Ende nahezu jeder sozioökono­mischen Kategorie wiederfind­et.“In den Opferzahle­n des Coronaviru­s spiegelt es sich wider.

Ta-Nehisi Coates: Der Wassertänz­er.

Aus dem Amerikanis­chen von Bernhard Robben. Blessing, 544 S., 24 ¤

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Fotos: dpa; Imago In Amerika von der Wucht des Virus am stärksten betroffen: die afroamerik­anische Bevölkerun­g.
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Ta-Nehisi Coates

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