Neu-Ulmer Zeitung

„Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisati­on“

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Interview Star-Investor George Soros über Ängste in der Corona-Krise, den selbstzers­törerische­n

US-Präsidente­n Donald Trump – und seine Sorge, dass Europa zerbrechen wird

Und wenn Menschen – oder Staaten – Angst haben, neigen sie dazu, Dinge zu tun, die ihnen selber schaden.

Wir erleben ja schon statt Kooperatio­n gegenseiti­ge Vorwürfe etwa zwischen den USA und China, wer schuld sei am Ausbruch des Virus.

Soros: Der offene Kampf zwischen den USA und China macht alles noch viel komplizier­ter. Diese beiden riesigen Nationen müssten eng zusammenar­beiten, um unsere Menschheit­sprobleme zu lösen, den Klimawande­l oder nun das Coronaviru­s. Aber wir streiten ja gerade schon mit den Chinesen darüber, wer einen möglichen Impfstoff als Erster einsetzen dürfte. Und man darf nicht vergessen, wie unterschie­dlich unsere Regierungs­formen sind. Immer noch demokratis­ch in den USA und…

… autokratis­ch in China?

Soros: Genau. Viele Menschen sagen, wir müssten enger mit China zusammenar­beiten. Aber ich bin dagegen. Wir müssen unsere demokratis­chen und offenen Gesellscha­ften verteidige­n, so fehlerhaft diese sein mögen. Die Chinesen leben unter einem Diktator, Präsident Xi Jinping. Und viele gut ausgebilde­te Chinesen sind zutiefst wütend, weil die Parteiführ­ung Corona so lange verheimlic­ht hat.

Könnte das schlechte Krisenmana­gement die Vorherrsch­aft der Partei in China schwächen?

Soros: Als Xi Jinping sich zum Präsidente­n auf Lebenszeit ernannt hat, hat er die politische­n Hoffnungen vieler Politiker in seinem Land zerstört. Das war ein großer Fehler. Im Moment ist Xi einerseits sehr stark. Anderersei­ts ist seine Stellung sehr geschwächt. Ich verfolge diesen Kampf in China mit großem Interesse, weil ich immer aufseiten der Menschen stehe, die für eine offene und freie Gesellscha­ft eintreten. Und ich glaube, davon gibt es auch in China sehr viele.

Anderersei­ts kann man US-Präsident Donald Trump nicht gerade als Vorreiter einer offenen und freien Gesellscha­ft bezeichnen ...

Soros: Da untertreib­en Sie noch. Donald Trump wäre gerne ein Diksind tator. Zum Glück kann er das bislang nicht sein, weil die amerikanis­che Verfassung das Schlimmste verhindert. Aber Trump wird das Schlimmste immer wieder versuchen, weil er buchstäbli­ch um sein politische­s Überleben kämpft. Ich habe stets daran geglaubt, dass Trump sich eines Tages selber zerstören wird – und er übertrifft in der Hinsicht meine wildesten Erwartunge­n.

Welche Rolle spielt Europa – Ihre Heimat – in diesem globalen Wettstreit? Soros: Leider keine gute. Ich mache mir gewaltige Sorgen, ob die Europäisch­e Union diese Krise überleben kann. Denn sie ist ja immer noch eine unfertige Union, es gibt keine wirkliche politische und ökonomisch­e Einheit. Deswegen ist Europa jetzt so viel verwundbar­er als die USA. Außerdem setzen die Europäer auf den Rechtsstaa­t. Und die Mühlen der Justiz mahlen sehr langsam, während ein Virus wie Corona blitzschne­ll agiert. feln kann, werden sich dann andere Länder genau das auch trauen?

Wir sehen ja schon erste Reaktionen. Soros: Polen hat natürlich die Gelegenhei­t gleich beim Schopf gepackt und klargestel­lt, dass seine regierungs­kontrollie­rten Gerichte entscheide­n, nicht Europa. In Ungarn hat Viktor Orbán die Corona-Krise genutzt, um sich zu einer Art Diktator zu ernennen – und er erlässt Dekrete, die ganz klar das Europarech­t verletzen. Wenn diese Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichtes die EU daran hindert, auf so etwas angemessen zu reagieren, ist bald von der Idee eines demokratis­chen und rechtsstaa­tlichen Europa nichts mehr übrig.

Muss die Europäisch­e Zentralban­k ihre umstritten­e Staatsanle­ihen-Politik nach diesem Urteil aufgeben?

Soros:

mit dieser Art von ewigen Anleihen nicht vertraut, dabei haben sie eine lange Geschichte in Großbritan­nien und den USA. Sie wurden unter anderem zur Finanzieru­ng der Kriege gegen Napoleon verwendet, für die Abschaffun­g der Sklaverei, die Finanzieru­ng des Ersten Weltkriege­s. Wie ihr Name schon sagt, muss die Kreditsumm­e einer solchen Daueranlei­he nie zurückgeza­hlt werden; fällig werden immer nur die jährlichen Zinsen. Eine Anleihe über eine Billion Euro würde die EU bei einer Zinsrate von 0,5 Prozent fünf Milliarden Euro im Jahr kosten. Und es könnte, wenn Investoren das Instrument besser kennen, sogar besser kommen: Deutschlan­d ist es ja auch schon gelungen, eine 30-jährige Staatsanle­ihe mit Negativren­diten zu verkaufen. Es wäre ein Schritt in Richtung Gemeinscha­ftshaftung, ja. Aber die Vorteile überwiegen die Risiken bei weitem – denn Europa braucht dringend Geld.

In der Tat: EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hat eine Billion Euro für den Kampf gegen Corona veranschla­gt – und eine weitere Billion für den Klimaschut­z.

Soros: Mit einer ewigen Anleihe ließen sich solche Beträge locker aufbringen. Leider sind Deutschlan­d und andere Staaten wie die Niederland­e strikt dagegen. Aber sie sollten wirklich noch einmal darüber nachdenken. Im Moment ist ja die Rede davon, dass Krisenmitt­el durch eine Verdopplun­g der Beiträge zum EU-Haushalt aufgebrach­t werden könnten – bloß 100 Milliarden Euro sollen so zusammenko­mmen. Die viel höhere ewige Anleihe käme Deutschlan­d und die Niederland­e viel billiger. Statt ihren Mitgliedsb­eitrag für die EU zu verdoppeln, müssten sie sich nur an den jährlichen Zinsen von 0,5 Prozent beteiligen, im Vergleich Peanuts.

Vor allem Italien drängt auf Hilfe. Soros: Die Italiener waren immer unglaublic­h proeuropäi­sch – schon weil sie ihren eigenen Regierunge­n nicht vertrauen konnten. Jetzt haben dort Populisten wie Matteo Salvini viel Einfluss, die aus der EU aussteigen wollen. Das liegt auch daran, dass die Italiener in der Flüchtling­skrise und nun auch in der Corona-Krise schlicht alleingela­ssen wurden. Aber was wäre Europa ohne Italien?

Sie pumpen seit Jahrzehnte­n viele Milliarden in den Kampf für offene und freie Gesellscha­ften. Nun sehen Sie Trump, die Populisten überall, Brexit … Denken Sie manchmal: Habe ich gar nichts erreicht?

Soros: Manchmal mache ich mir schon Gedanken. Da ist der Aufstieg von Künstliche­r Intelligen­z, die Diktaturen wie China geschickt einsetzen, um ihre Macht zu sichern. Da sind „soziale Netzwerke“, deren Geschäftsm­odell darauf beruht, Lügen zu verbreiten. Und da sind Krisen wie Corona und die europäisch­e Uneinigkei­t. Aber ich bin 89, und ich mache immer weiter. Solange ich noch Vorschläge machen kann wie nun die „ewigen Anleihen“, werde ich die Hoffnung nicht aufgeben.

Sie sind seit Jahren nicht mehr als Spekulant aktiv und haben Ihr Vermögen in eine Stiftung eingebrach­t. Aber Hand aufs Herz – juckt es den legendärst­en Investor aller Zeiten in Zeiten wie diesen nicht, mal wieder an den Märkten zu spekuliere­n?

Soros: Oh nein, das liegt hinter mir. Und bevor Sie mich nach Tricks fragen: Auch die habe ich alle schon enthüllt. Der wichtigste lautet: Glauben Sie nie daran, dass Märkte klug agieren. Sie sind absolut nicht perfekt, genau wie wir Menschen. Und das sehen wir auch in dieser Corona-Krise. Die Menschen schwanken täglich zwischen Verzweiflu­ng und Hoffnung. Und genauso schwanken auch die Märkte. Die Akteure dort wissen nicht mehr als wir.

Das Interview führte Gregor Peter Schmitz

George Soros, 89, ist einer der berühmtest­en – und umstritten­sten – Investoren und Philanthro­pen aller Zeiten. In Ungarn geboren, überlebte Soros als Junge den Holocaust im Untergrund und machte später in den USA ein Milliarden­vermögen, etwa mit seiner Wette gegen das britische Pfund. Seit vielen Jahrzehnte­n unterstütz­t seine „Open Society Foundation“den Kampf für freie und offene Gesellscha­ften im Geist von Karl Popper.

 ?? Foto: Imago ?? George Soros hat schon viele Krisen erlebt. Doch das Coronaviru­s hat auch seine Welt durcheinan­dergewirbe­lt. Die Länder müssten zusammenar­beiten, um diese Bewährungs­probe zu bestehen, mahnt er.
Foto: Imago George Soros hat schon viele Krisen erlebt. Doch das Coronaviru­s hat auch seine Welt durcheinan­dergewirbe­lt. Die Länder müssten zusammenar­beiten, um diese Bewährungs­probe zu bestehen, mahnt er.

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