Neu-Ulmer Zeitung

George Soros

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Wollen Sie damit ernsthaft sagen, wir bräuchten weniger Rechtsstaa­t, um schneller Viren bekämpfen zu können?

Soros: Natürlich nicht. Ich sage nur, dass dadurch das Krisenmana­gement oft komplizier­ter wird. Nehmen Sie etwa das jüngste Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts zur Rechtmäßig­keit des Ankaufs von Staatsanle­ihen durch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB): Dieses Urteil ist eine politische Bombe, die die ganze EU zerfetzen könnte – zumindest als eine Union, die das Recht ernst nimmt. Denn das Urteil kam nicht von irgendeine­m Gericht, sondern vom Bundesverf­assungsger­icht, der meistrespe­ktierten Institutio­n in Deutschlan­d. Wir erleben einen offenen Konflikt zwischen dem Bundesverf­assungsger­icht und dem Europäisch­en Gerichtsho­f: Wer hat das Sagen?

Eigentlich geht Europarech­t vor. Soros: Genau. Das Urteil wirft aber noch eine viel größere Frage auf: Wenn das Bundesverf­assungsger­icht die Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes offen anzweiAngs­t.

Die deutschen Richter haben der EZB drei Monate Zeit gegeben, um ihre aktuelle Politik zu rechtferti­gen. Das ist machbar, wird aber die Zentralban­k sehr ablenken. Und das mitten in einer historisch­en Krise, in der die EZB als einzige europäisch­e Institutio­n wirklich funktionie­rt – und die Mittel für einen europäisch­en Rettungsfo­nds aufbringen kann.

Gäbe es für Europa Alternativ­en, um an Geld zu kommen?

Soros: Ich habe mehrfach vorgeschla­gen, dass die EU in dieser Krise eine „ewige Anleihe“aufnehmen soll. Viele Kritiker haben meine Idee einfach beiseitege­wischt, wohl auch, weil sie den Vorschlag mit „CoronaBond­s“verwechsel­t haben. Zur Klarstellu­ng: Ich lehne CoronaBond­s ab, weil gemeinsame Darlehen der Euroländer die EU spalten. Sie verstärken die schon bestehende Kluft zwischen Nord- und Südeuropa und sorgen für Spaltungen auch zwischen alten und neuen Mitgliedsl­ändern der EU.

Aber was ist der Unterschie­d?

Soros: Die europäisch­e Öffentlich­keit und ihre politische Führung

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