Ein Verein zu Goethes Ehren
Literatur
64 Bücherfreunde widmen sich dem Meister und Zeitgenossen
Ulm In der schnelllebigen Gegenwart klingt dieser Name fast wie ein Anachronismus: Die „Goethe-Gesellschaft Ulm und Neu-Ulm“, eine von 57 örtlichen Vereinigungen der Weimarer Goethe-Gesellschaft, ist aber kein elitärer Lesezirkel, sondern eine 1997 gegründete Gruppe von 64 bücherbegeisterten Menschen, die sich mit Literatur – natürlich von Goethe und seinen Zeitgenossen, aber auch mit zeitgenössischen Werken – beschäftigen und sich für Goethe als Person, für sein Wirken und sein persönliches Umfeld interessieren. In Vorträgen, die Ernst Joachim Bauer – der frühere Ulmer AegisBuchhändler, der nun eine Buchhandlung mit Antiquariat in Laichingen betreibt – organisiert, geht es auch darum, das in Gegenwart und Zukunft zu übertragen und weiterzutragen, was die Goethe-Fans im Heute für enorm wichtig ansehen: Goethes Weltgeist und Weitsicht.
Zu Goethes 271. Geburtstag am 28. August hofft Ernst Joachim Bauer, der die Goethe-Gesellschaft seit 2013 führt, das Leben der literarischen Gesellschaft nach der Corona-Zwangspause wieder anlaufen lassen zu können. Vorträge sind wegen der Epidemie ausgefallen, Mitglieder konnten einander nicht treffen. Im Herbst aber stehen noch mehrere Vorträge auf dem Programm, von denen Bauer – hoffnungsvoll-skeptisch, wie er sagt – vermutet, dass sie stattfinden können. So soll es im September um Thomas Manns „Doktor Faustus“gehen und im Oktober mit einem SchauspielerPaar um „Goethes geliebte Frauen“– ein weites Feld, das an jenem Abend auf amüsante Weise behandelt werden soll. Im November plant Bauer, dass der Hegel-Biograf Jürgen Kaube über Goethes Freund, den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, referiert und beim Literatursonntag in der Pauluskirche wird es um Paul Celans Werk gehen.
Werden in Zeiten, in denen die Menschen aufgrund der Epidemie mehr zu Hause sind, wieder mehr Klassiker aus dem Bücherschrank geholt? Er hoffe es, lacht Ernst Joachim Bauer – und gekauft werden derzeit viele Bücher, auch antiquarische. Aber ob sie auch gelesen werden, das mag er nicht beurteilen.
Für Bauer selbst ist aus Goethes umfangreichem Werk die Lyrik jene Literaturgattung, die ihn am stärksten erreicht, vor allem die Liebeslyrik; sie verrät viel über die Persönlichkeit Goethes. Für weniger qualitätvoll hält er dagegen Goethes erotische Gedichte und zu den naturwissenschaftlichen Betrachtungen Goethes hat
Bauer weniger Zugang als beispielsweise zu seinen Dramen und Briefen, gibt er zu. „Goethe hat ja fast alles interessiert“, sagt Bauer. Faszinierend findet er die Weite von Goethes Geist – beispielsweise, dass der Dichter sich mit dem Islam beschäftigte, dessen erste dauerhafte Gemeinden sich ausgehend vom Osmanischen Reich in Deutschland zu Goethes Lebzeiten etablierten. Als Reisender mit Neugierde auf die Welt habe Goethe auch Risiken auf sich genommen, als er zwischen 1786 und 1788 von Karlsbad über München und den Brenner bis zum Vesuv und dann weiter nach Sizilien unterwegs war, erzählt Bauer. Denn Reisen im 18. Jahrhundert war durchaus gefährlich: Achsbrüche an Kutschen, Unfälle und Straßenräuber zählten zu den Fährnissen einer solchen Reise. „Fahren“und „Gefahr“hatten damals viel miteinander zu tun.
Mitglieder und Referenten befassen sich mit unterschiedlichsten Themen um Goethe, erzählt Bauer: mit nach Goethe benannten Straßen, von denen es auch in Italien viele gibt, oder mit ganz profanen Dingen der Alltagskultur, auf denen Goethe zu sehen ist: Es gibt Goethes Profil als Plätzchenausstecher, Goethe auf Briefmarken und Münzen, in Schneekugeln, auf Tassen und T-Shirts und sogar als Playmobilmännchen. Einer der Referenten der Goethe-Gesellschaft im vergangenen Jahr, der Fotograf Helmut Schlaiß, war die Stationen von Goethes italienischer Reise nachgefahren und stellte diese der Gesellschaft vor. Themen gibt es viele – und die Vorträge der Gesellschaft sind öffentlich und für Interessierte offen.