Die Welt(ordnung) nach Corona
Leitartikel Manche unken schon, nur China werde von dieser Krise profitieren, weil die USA und Europa hilflos wirken. Aber die Ideen des Westens haben durchaus noch Kraft
dem das Coronavirus ausbrach, könnte zum großen Corona-Gewinner aufsteigen. Die USA hingegen, welche früher gerade in Weltkrisen weltweite Hilfsbereitschaft bewiesen, scheinen eher selber zum Hilfsfall zu werden, zu einem gescheiterten Staat. Und Europa? Das spielt, mal wieder, gar keine Rolle, seine Mitglieder können sich nicht einmal untereinander aushelfen.
Diese Schlussfolgerung liegt nahe. Richtig ist sie aber dennoch nicht. So wohltätig sich China gerieren mag, so absurd sich die USA unter Trump gebärden, so hilflos Europa wirkt: Wir stehen trotz Corona nicht am Wendepunkt hin zu einer ganz neuen Weltordnung.
Denn an der Anziehungskraft offener Gesellschaften hat sich nicht wirklich etwas geändert, das bleibt die Stärke der USA und von Europa. Der Politologe Joseph Nye spricht von „soft power“, der
Kraft, durch eigene Attraktivität andere Teile der Welt in seinem Sinne zu beeinflussen. China hat viel Geld und wachsende militärische Macht, aber wenig Soft Power. Die Leute weltweit misstrauen seinen
Mächtigen, selbst wenn diese Geschenke bringen. Sie mögen staunen, wie schnell die Chinesen Corona-Krankenhäuser aus dem Boden stampfen – vertrauen der Informationspolitik des Regimes aber noch lange nicht. Xi hat sich zwar zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt. Doch wenn seine Partei nur noch weniger Wohlstand garantieren kann, werden auch mehr Chinesen
fragen, warum sie im Gegenzug ihre Freiheit aufgeben.
Die USA hingegen sind stärker, als Trump sie wirken lässt. Filme aus Hollywood, Internet-Plattformen aus dem Silicon Valley, amerikanische Universitäten, Ideen von Freiheit und Individualität, all dies wird immer noch attraktiv sein, wenn Trump längst Geschichte ist. Noch dazu ist das Land militärisch überlebensstark, durch Ozeane sicher abgeschirmt, es bleibt zudem das beliebteste Einwanderungsland für Menschen und Aufstiegshungrige aus der ganzen Welt.
Unantastbar ist diese amerikanische Welt freilich nicht. Schränkt das Land die Zuwanderung massiv ein, rüttelt es weiter an der globalen Werteordnung, von der es selbst so profitierte, sind Dauerschäden nicht auszuschließen. Deswegen ist der 3. November – die nächste USPräsidentschaftswahl – eine echte Richtungswahl.
Noch besteht aber kein Grund, sich einer Welt „Made in China“zu ergeben (und übrigens auch keiner autoritären, wie Putins russischer Krisen-Dilettantismus zeigt). Das gilt ebenfalls für Europa, das zusammengenommen eine Wirtschaftskraft aufweist wie die USA. Von Merkel, Macron und Co. war lange nichts zu hören. Doch nun macht Mut, wie sie einander die Hand reichen. Man kann und muss den Sinn ihrer Rettungspläne diskutieren. Aber es ist besser, wenn Europa die Zukunft gemeinsam zu gestalten versucht, statt diese nur zu erdulden. Noch besser wäre, könnten wir dies mit den USA tun.
Europa muss diese
Krise gestalten, nicht nur ertragen