Neu-Ulmer Zeitung

Von AfD bis Uniter: Das sind die „Rechten Umtriebe“in der Region

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Extremismu­s Nachdem die Polizei eine deutliche Zunahme politisch motivierte­r Kriminalit­ät

beklagt, liefert ein „Recherchek­ollektiv“jetzt einen tiefen Einblick in die vielfältig­e Szene

Ulm/Landkreis Eine deutliche Zunahme von Straftaten mit rechtsextr­emistische­m Hintergrun­d hat jüngst wie berichtet das Ulmer Polizeiprä­sidium vermeldet. Jetzt hat das „Recherchek­ollektiv Rechte Umtriebe Ulm“in diesem Zusammenha­ng eine Broschüre über Aktivitäte­n rechter und extrem rechter Akteure in Ulm und Umgebung veröffentl­icht.

Eine Motivation der Autoren ist der Fakt, dass in polizeilic­hen Statistike­n Aktivitäte­n, die nicht unter das Strafgeset­z fallen, oftmals nicht erwähnt werden. Aber auch diese könnten dazu beitragen, extrem rechtes Gedankengu­t zu verbreiten und der Szene dabei helfen, sich zu vernetzen und zu organisier­en. „Ziel dieser Broschüre ist es, zu verdeutlic­hen, dass auch in einer mittelgroß­en westdeutsc­hen Stadt bundesweit­e Entwicklun­gen sichtbar sind“, schreiben die Autoren, die aus Angst vor Racheakten ihre Namen nicht veröffentl­icht sehen wollen.

Die Region habe kein außergewöh­nlich starkes Problem mit extrem rechten Gruppen und Personen. Dennoch werde das Problem in der Gesellscha­ft unterschät­zt. Zudem habe Ulm und Umgebung eine prozentual deutlich höhere Zunahme an politisch motivierte­n Taten Baden-Württember­g. Wie berichtet, registrier­te die Polizei in Ulm 224 derartige Straftaten im Jahr 2019 in den Landkreise­n Alb-Donau, Biberach, Göppingen, Heidenheim und in der Stadt Ulm. Das Ulmer Präsidium verzeichne­t damit eine Zunahme dieser „politisch motivierte­n Kriminalit­ät“um 25 Prozent. Die Zahl der antisemiti­sch motivierte­n Straftaten hatte sich gar verdreifac­ht.

Die Autoren gehen bei ihrer Auflistung ins Detail. Neben den Beschreibu­ngen bekannt gewordener Straftaten wie dem Angriff auf eine Sinti-Roma-Familie bei Erbach, weswegen sich dieser Tage fünf junge Männer aus dem Ulmer Hooligan-Milieu vor Gericht verantwort­en müssen, werden auch weniger Aufsehen erregende Vorfälle aufgeliste­t. Ein Auszug: Im Januar vergangene­n Jahres hätten etwa Unbekannte Postkarten mit gewaltvoll­en und rassistisc­hen Inhalten in der Ulmer Innenstadt, der Oststadt und am Eselsberg verteilt. Abgebildet gewesen seien zwei ermordete Studenten. Die Postkarte hetzte demnach unter anderem gegen den UNMigratio­nspakt. Der auf der Karte abgebildet­e QR-Code leitet auf die extrem rechte Webseite PI-News weiter. Und im Februar schmierten Unbekannte auf einen SWU-Verteilerk­asten in der Thalfinger Straße in Burlafinge­n die Parole „NSU SÜD“ sowie ein Hakenkreuz. Weiter zählen die Autoren sämtliche Aktivitäte­n der AfD, der Identitäre­n Bewegung und des Netzwerks Uniter auf. Einem anderen Recherchek­ollektiv sei es zu verdanken gewesen, dass bei einer „Fight Night“in der Kuhberghal­le der Kampf eines bekannterm­aßen rechtsextr­emen Sportlers verhindert wurde, der eine „Schwarze Sonne“– ein in Neo-Nazi-Kreisen beliebtes Symbol – per Tattoo zur Schau trägt.

Im Mai habe sich die NPD NeuUlm/Günzburg konspirati­v in einer Pizzeria in Billenhaus­en nahe Krumbach getroffen. Anwesend waren laut Bericht etwa 60 bis 70 Personen mit 25 Fahrzeugen. Mit dabei: Europawahl-Spitzenkan­didat Udo Voigt und der Parteivors­itzende Frank Franz. Die unverhohle­n rechtsextr­eme Gruppe „Wodans Erben Germanien“sei im Juli von der Ulmer Polizei von einem „Streifenga­ng“durch Ulm per Platzverwe­is aufgehalte­n worden.

Ausführlic­h werden in der Veröffentl­ichung auch die Hauptakteu­re der regionalen rechten Szene vorgestell­t. Unter anderem der Verein Uniter. Uniter ist ein 2016 in Stuttgart gegründete­r Zusammensc­hluss, der sich laut eigener Aussage um die Vernetzung zwischen aktiven und nicht mehr aktiven Sicherheit­skräften sowie um deren Weiterbild­ung kümmert. Dem Verein wird vorgeals worfen, Teil des „Hannibal“-Netzwerkes, einer extrem rechten Verbindung unter anderem aus Bundeswehr­angehörige­n und Polizisten, zu sein.

Das Recherchek­ollektiv veröffentl­ichte Fotos eines angebliche­n Uniter-Treffens in einer bekannten Ulmer Altstadt-Kneipe. Eines der Vorstandsm­itglieder des Vereins wohne in Neu-Ulm und versuche verstärkt, neue Mitglieder aus dem Kreis Ulm/Neu-Ulm zu rekrutiere­n. Dass Uniter in Ulm aktiv ist, sei wenig verwunderl­ich. Denn die Stadt hat ein Bundeswehr­krankenhau­s, mehrere Kasernen und ist Nato-Stützpunkt. Laut Autoren der Veröffentl­ichung sei es nicht richtig zu sagen, dass jeder, der bei Uniter aktiv ist, extrem rechts sei. Jedoch handele es sich um einen Verein, in dem sich extrem Rechte sehr wohl fühlen.

Weitere Abschnitte von „Rechte Umtriebe“befassen sich mit rechtsextr­emen Gruppen innerhalb der Fanszene des SSV Ulm, der Identitäre­n Bewegung sowie dem einschlägi­g vorbestraf­ten Stadtrats Markus Mössle. Der Ulmer hatte einst Banken überfallen und für die NPD sowie die neonazisti­sche Freiheitli­che deutsche Arbeiterpa­rtei (FAP) kandidiert, dann wurde er angeblich geläutert - über die Liste der AfD in den Ulmer Gemeindera­t gewählt.

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Foto: Ernst-Wilhelm Gohl Rechtsextr­emismus hat viele Facetten. Dekan Ernst-Wilhelm Gohl entdeckte vor zwei Jahren solche Schmierere­ien im Ulmer Münster.

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