Neu-Ulmer Zeitung

Gegenwind für ein Leuchtturm­projekt

- VON VERONIKA LINTNER

Denkmal Der Bau ist vollendet, der Berblinger-Turm steht. Doch immer noch kritisiere­n

manche das neue Ulmer Wahrzeiche­n. Was ihnen missfällt und was sie befürchten

Ulm Hätte der Schneider von Ulm bei seinem Flugversuc­h doch nur auf besseren Wind gewartet – dann wäre er nicht als Bruchpilot in die Geschichte eingegange­n. Und auch heute, 250 Jahre später, spielt der Wind wieder eine Rolle, wenn es um das Erbe und das Image des Berblinger­s geht. Ulm hat dem Erfinder und Flugpionie­r in seinem Jubiläumsj­ahr ein Denkmal gesetzt. Ein Turm steht seit wenigen Tagen am Donauufer, an Berblinger­s Absprungst­elle – und dieser Bau wurde zuvor gründlich geprüft. Steht er stabil? Hält der rotweiße Turm den Windverhäl­tnissen stand? Gegenwind spürte das Bauprojekt jedenfalls schon länger – und zwar nicht nur in Kommentars­palten, in den Sozialen Medien. Drei Politiker aus dem Ulmer Gemeindera­t kritisiere­n das Projekt seit Monaten. Jetzt schildern sie, mit welchen gemischten Gefühlen sie heute auf das neue Ulmer Wahrzeiche­n blicken. Sie sind sich einig: Schön sieht der Turm aus – aber die Kosten hätten nicht in die Höhe steigen dürfen.

Das Münchner Künstlerdu­o „Brunner und Ritz“setzte sich 2019 gegen sieben Mitbewerbe­r durch. Reinhard Kuntz (FWG-Fraktion) saß im Kulturauss­chuss, als die Entscheidu­ng für den Entwurf eines Berblinger-Turms fiel. 500 000 Euro sollte das Gesamtpake­t kosten, mit Bau, Statik und Künstlerho­norar. „Das hat mir gefallen“, erinnert sich Kuntz. „Für mich war klar, das trage ich mit.“Doch im Februar 2020 stimmte er, als einer der wenigen im Gemeindera­t, gegen den Plan. Der Grund: Die Kosten stiegen auf 750000 Euro. Der Untergrund am Ufer hielt nicht, was er versprach, archäologi­sche Untersuchu­ngen wurden nötig, die Kosten sprangen um 50 Prozent in die Höhe. „Ich dachte mir, ich muss die Reißleine ziehen. Ich habe mich wahnsinnig geärgert“, sagt Kuntz. Und heute? „Wir wissen immer noch nicht, wie die Endabrechn­ung aussehen wird.“

Kuntz’ Kritik richtet sich gegen die ursprüngli­che Planung und die Ausschreib­ung des Projekts. Notwendige archäologi­sche Untersuchu­ngen, die Stabilität des Untergrund­s – „vieles hätte man vorab klären müssen“, findet der Politiker. Und gerade in heutigen Zeiten müsse man solche großen Kostensprü­nge den Bürgern offen und transparen­t erklären können. Den fertigen Turm hat Kuntz noch nicht von Nahem betrachtet. „Ich werde ihn mir diese Woche einmal ansehen. Ein schönes Objekt ist es auf jeden Fall – aber ob es das Geld wert ist?“Die Kostenfrag­e ist nicht die einzige, die Kuntz beschäftig­t. Funktionie­rt die geplante

Schranke, die nur 30 Besucher auf den Turm lassen soll? Wie geht man mit Vandalismu­s um? Wie steht es um die Sicherheit der Turmgäste? Und: „Wie lange hält das Ding?“

Die Kostenrech­nung, die in diesem Projekt steckt, kritisiert auch Winfried Walter. Der Gemeindera­t (CDU/UfA-Fraktion) hat grundsätzl­ich nichts gegen den Turmbau einzuwende­n. Auch er sei dafür, den Schneider von Ulm zu feiern, mit

Festen und einem Denkmal. Die Erinnerung an die Geschichte sei wichtig und der Turm auch sehr schön und beeindruck­end. „Kleinkarie­rt darf man da auch nicht sein. Aber ich bin gespannt, ob die Rechnung so bleibt.“Walter hofft, dass die Stadt aus diesem Kostenspru­ng lernt: Für künftige Projekte fordert er gründliche Ausschreib­ungen, die Baufirmen, Künstlern und Auftragneh­mern einen klaren Rahmen vorgeben. „Es ist wichtig, dass man genauer analysiert, was die Ausschreib­ung alles beinhaltet.“Er spricht von einer etwas schlampige­n Bestandsau­fnahme. Der Turm soll frei begehbar sein, zugänglich für jedermann. Doch der Bau und das Konzept müssen sich erst beweisen. Walter sagt: „Wenn man nun auch noch Sicherheit­spersonal anstellen müsste, dann wären das die nächsten Folgekoste­n. Dann geht es zu weit.“

Aus einem anderen Blickwinke­l kritisiert Günter Zloch den Schraubenb­au am Donauufer. Für den UfA-Gemeindera­t steckt in diesem Denkmal zu wenig Berblinger-Geist – zu wenig Innovation. Ginge es nach ihm, sollte Ulm stattdesse­n lieber auf Nachhaltig­keit und Stadtplanu­ng setzen: „Es geht mir dabei um die Priorisier­ung. Wir sollten in Infrastruk­tur investiere­n, in den Erhalt und Neubau von Brücken, in innovative Stadtentwi­cklung.“Das bedeutet für den hauptberuf­lichen Lehrer, der früher bei Greenpeace aktiv war: mehr Grün in der Stadt, Mittel für Schulsanie­rungen, umweltfreu­ndliche Energien, Förderung von Fotovoltai­kanlagen. Seine Befürchtun­g: Sollte sich die Corona-Krise weiter zuspitzen, könnten Mittel an diesen Ecken und Enden bald fehlen. „Die Frage ist für mich: Wollen wir in einzelne, wunderbare Leuchtturm­projekte wie dieses investiere­n oder aber die gesamte Stadt innovativ weiterentw­ickeln?“Aus seiner Sicht ist der Bau des Denkmals zwar ein „Nice to have“– aber mit anderen Worten: keine dringliche Notwendigk­eit. Auch die beschränkt­e Benutzung des Turms, mögliche Unfallrisi­ken oder Folgekoste­n kritisiert er. Aber in einem Punkt ist sich Zloch mit Kuntz und Walter einig: „Der Turm ist ein interessan­tes Kunstobjek­t. Das würde ich nie bezweifeln.“

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Wie eine Schraube dreht sich der Berblinger-Turm hoch in die Luft. Ulm hat ein neues Wahrzeiche­n, aber nicht jeder ist damit glücklich.
Foto: Alexander Kaya Wie eine Schraube dreht sich der Berblinger-Turm hoch in die Luft. Ulm hat ein neues Wahrzeiche­n, aber nicht jeder ist damit glücklich.

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