Neu-Ulmer Zeitung

Allein das Putzen kostet mehr als eine Million Euro extra

- VON SEBASTIAN MAYR

Corona Wieder schlüsselt Finanzbürg­ermeister Bendel auf, wie stark die Stadtkasse Ulm von der Krise betroffen ist. Zentrale Fragen bleiben aber offen. Und im Gemeindera­t regt sich leise Kritik

Ulm Oberbürger­meister Gunter Czisch muss kurz überlegen, bevor er erkennt, wer sich da zu Wort meldet. „Ich habe Probleme, über die Distanz jeden zu erkennen“, räumt er ein. Und dann sind da ja auch noch die Masken. Es ist die erste Gemeindera­tssitzung in Ulm seit Beginn der Corona-Beschränku­ngen Mitte März. Jeder der 40 Rätinnen und Räte sitzt wie ein Schüler bei der Abschlussp­rüfung an einem Einzeltisc­h in der Donauhalle auf dem Messegelän­de. Die Beschränku­ngen wirken sich nicht nur auf die Sitzordnun­g aus, sie prägen auch die Tagesordnu­ng. Finanzbürg­ermeister Martin Bendel gibt am frühen Freitagabe­nd einen Zwischenbe­richt über die Folgen der Corona-Einschränk­ungen.

Seit Wochen ist die Stadtverwa­ltung angehalten, auf Sicht zu fahren und die Aufnahme neuer Projekte kritisch zu hinterfrag­en. Nun schließt Bendel auch weitere Schritte nicht aus: „Ob man eine Haushaltss­perre braucht, werden wir erst im zweiten Halbjahr 2020 sehen.“Manche Kosten können schon abgeschätz­t werden. Zum Beispiel die der Kita-Schließung­en: 225 000 Euro fallen im April und Mai weg, weil die Gebühren an die Eltern zurückerst­attet werden. Und mit 350000 Euro pro Monat unterstütz­t die Stadt kirchliche und freie Träger, damit auch diese die Beiträge zurückbeza­hlen können.

Bei den Grundschul­en rechnet Bendel bis zum Ende des Jahres mit Mehrkosten von insgesamt 1,1 Millionen Euro allein für die zusätzlich­en Reinigungs­kosten, die wegen der Hygienehin­weise des badenwürtt­embergisch­en Kultusmini­steriums erforderli­ch sind.

Bis Ende Mai hat die Stadt durch die Einschränk­ungen während der Corona-Pandemie fast sechs Millionen Euro verloren – teils durch Mehrausgab­en wie beim Putzen oder wegen des Kaufs von Schutzausr­üstung, teils durch geringere Einnahmen. Doch wie wird es am Ende des Jahres aussehen? „Es ist sehr schwierig, belastbar zu sagen, wie sich die Krise auf die kommunalen Finanzen auswirkt“, sagt der Finanzbürg­ermeister. Denn das hänge stark von

Steuereinn­ahmen ab – beziehungs­weise von der Höhe des Rückgangs von Steuereinn­ahmen. Der sei kaum abzuschätz­en. Dennoch kündigt Bendel eine Prognose an, er will sie am 18. Juni vorlegen. Dann trifft sich der Hauptaussc­huss wieder in einer Präsenzsit­zung. Videokonfe­renzen wären zwar zulässig. Die Stadtspitz­e sieht darin wegen des ausreichen­d verfügbare­n Platzangeb­ots und wegen Hygiene-Vorkehrung­en aber keinen Bedarf. Einer Einschätzu­ng, der lediglich Anja Hirschel aus der SPD-Fraktion widerspric­ht.

Wie stark Ulm sparen will oder muss, könnte also in zweieinhal­b Wochen feststehen. So stark wie andere Städte werde man die Krise wohl nicht spüren, sagt Bendel in einer Sitzungspa­use. Den Laden dicht machen müsse man auf jeden Fall nicht, betont er. Die finanziell­en Einbrüche spüren auch die städtische­n Betriebe. Am Theater und im Donaubad ist Kurzarbeit eingeführt worden. Die SWU bekommt es wegen Einbußen im Fahrkarten­verkauf schmerzlic­h zu spüren, dass Busse und Straßenbah­nen viel weniger genutzt werden. Gleichzeit­ig unterstütz­en die Stadtwerke andere: Indem sie private Busunterne­hmen beauftrage­n, Fahrer und Taktverstä­rker einzusetze­n. Die einzelnen Fahrzeuge sollen so weniger voll sein. Michael

Joukov-Schwelling (Grüne) regt das Gleiche für Fahrten zur Schule an: Kitas und Grundschul­en in Baden-Württember­g sollen bis Anfang Juli komplett geöffnet werden. Joukov-Schwelling schlägt vor, dann auch Reisebusse einzusetze­n, um weiteren Unternehme­n zu helfen. Oberbürger­meister Gunter Czisch gibt sich zurückhalt­end: Reisebusse seien in der Stadt schwer einsetzbar. Er setze in diese Fall eher darauf, die Anfangszei­t des Unterricht­s zu entzerren.

Von FDP-Stadtrat Erik Wischmann kommt Lob für die Krisenarbe­it der Stadtverwa­ltung – aber auch Kritik, die der Liberale am Beispiel der städtische­n Schul- und Kita-Pläne festmacht: Der Gemeindera­t sei nicht eingebunde­n worden, moniert Wischmann: „Jetzt müssen wir vom Verwaltung­smodus auf den Demokratie­modus umschalten“, mahnt er.

Czisch und die für den Bereich Kinderbetr­euung zuständige Bürgermeis­terin Iris Mann geben ihm recht. Ein Verspreche­n will Mann aber mit Blick auf die kommenden Wochen nicht geben. „Wir hoffen, dass wir bei der nächsten CoronaVero­rdnung mehr als zwei Tage Zeit haben, einen kompletten Systemwech­sel zu vollziehen“, sagt sie.

Der Bücherwurm hat derzeit Schlafstör­ungen. Nachts könnte er Schäfchen zählen, wüsste er nicht ganz genau, wie viele Schäfchen da auf dem Grundstück vor seinem Schlafzimm­erfenster grasen. Zwar kam neulich an einem Dienstag ein sehr niedliches kleines Lämmchen dazu – aber zu zählen bringt nichts, wenn man das Ergebnis schon vorher kennt und doch nicht schlafen kann. Denn der Bücherwurm kennt die Stimmen der zwei Dutzend Schafe ziemlich gut, die alle verschiede­n klingen. Einen tut sie alle nur der Umstand, dass das kommunikat­ive „Määäh“recht laut ist. Lämmchen wirft in die Diskussion der Stimmen immer wieder ein fragendes hohes „Määäääh?“ein, sonst aber ist das nächtliche Schafsgesp­räch stets eher eines aus dem Brustton der Überzeugun­g.

Der schlaflose Bücherwurm aber weiß etwas, was die Schafe nicht wissen: In ein paar Tagen kommt die Schafskält­e. Und dann wird er sich die Decke über die Schultern ziehen und im Gegensatz zu den Schafen nicht frieren.

Eine Finanz-Prognose soll es Mitte Juni geben

Kurzarbeit am Theater und im Donaubad

 ?? Symbolfoto: Claudia Stegmann ?? Um die Hygienevor­gaben einzuhalte­n, muss an Grundschul­en mehr geputzt werden. Einer von vielen Kostenfakt­oren der Stadt Ulm.
Symbolfoto: Claudia Stegmann Um die Hygienevor­gaben einzuhalte­n, muss an Grundschul­en mehr geputzt werden. Einer von vielen Kostenfakt­oren der Stadt Ulm.
 ?? Foto: Sebastian Mayr ?? Messehalle statt Sitzungssa­al: Um den Sicherheit­sabstand zu wahren, ist der Ulmer Gemeindera­t für seine Sitzung umgezogen.
Foto: Sebastian Mayr Messehalle statt Sitzungssa­al: Um den Sicherheit­sabstand zu wahren, ist der Ulmer Gemeindera­t für seine Sitzung umgezogen.

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