Retter mit Herz und Drohne
Natur Christian Liebsch und Patrick Kastler finden mithilfe einer Wärmebildkamera Rehkitze in Wiesen –
und bergen diese bevor der Mähdrescher kommt. Wir haben sie bei einer Rettungsaktion begleitet
Welt, wo sie einige Wochen bleiben, denn da sieht sie kein Feind. Im Wonnemonat Mai haben die meisten Rehe Geburtstag. Unglücklicherweise ist das auch die Zeit, zu der die Landwirte gerne ihre Wiesen mähen.
Bis vor wenigen Jahren noch geschah es häufiger, dass das Mähen in einem Gemetzel endete. Denn im hohen Gras sieht man das kleine Kitz nicht. Außerdem hat das Reh bis zur zweiten Lebenswoche einen Drückinstinkt, das heißt, es presst sich mit seinem kleinen Körper auf den Boden, wenn Gefahr lauert und es sich verstecken möchte, erklärt Liebsch. Das führte in der Vergangenheit oft dazu, dass der Bauer das Tier weder vorher finden, noch die
Mähmaschine rechtzeitig stoppen konnte. „Da kommt es schon einmal vor, dass die Beinchen fehlen oder das Reh zerfetzt wird“, sagt Liebsch.
Mit der Zeit wurde das Problem diskutiert. Denn auch ein Landwirt möchte weder ein totes Tier in seinem Futtermittel, noch den Tod der kleinen Kitze auf dem Gewissen haben. „Man hat viel ausprobiert“, sagt der Kreisvorsitzende der Jäger im Landkreis. Eine Zeit lang habe man mit großen Wärmedetektoren, die an den Armen befestigt waren, versucht, die Felder abzusuchen. „Aber da tritt man natürlich auch das ganze Gras herunter“, sagt Liebsch. Keine Methode habe bis jetzt den gewünschten Erfolg geheran bracht. Doch die neue DrohnenTechnik sei die perfekte Lösung. „Die technischen Voraussetzungen klappen einwandfrei, jetzt muss man nur noch am Organisatorischen feilen“, sagt Liebsch. Denn zurzeit kann es vorkommen, dass der Landwirt bei gutem Wetter ganz spontan beschließt zu mähen: Und dann heißt es für die Retter flexibel und zügig sein.
Bevor die Rettung losgeht, wird die Drohne aufgebaut. Die hat sogar einen eigenen kleinen Landeplatz, damit sie nicht so hart auf dem steinigen Weg aufkommt, sagt Kastler. „Das Ganze ist ein Hexakopter mit einer Wärmebildkamera, die unten befestigt ist“, erklärt der Drohnenpilot. Hexa, die Drohne heißt so, da sie sechs Motoren hat. 9500 Euro kostet die gesamte Ausstattung, die über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert wurde. Über eine Fernbedienung steuert Kastler die knapp zweieinhalb Kilogramm schwere Drohne nach oben, über einen Monitor können alle mitschauen. Danach fliegt das Gerät selbstständig seine Bahnen ab.
Als Laie erkennt man erst nicht viel: Unterschiedliche Flecken, mal gelb, mal weiß, mal grau. „Gelbe Stellen sind warm, also Vegetation“, sagt Kastler und zeigt zuerst auf den Monitor und dann auf die Bäume. Graue oder blaue Stellen sind besonders kalt. Und wie erkennt man ein Rehkitz? „So ein gelber Punkt mit ein bisschen weiß außenrum“, sagt der Profi. Nur wenige Sekunden später sieht sogar der Laie einen genau solchen Punkt. Kastler steuert die Drohne näher und ändert die Kameraeinstellung auf Satellitenansicht. Und tatsächlich: Man erkennt sofort ein Rehkitz. Ein erstes Erfolgserlebnis an diesem Morgen.
Denn das ist nicht immer so. Es kann schon mal sein, dass der gelbe Fleck nur ein Maulwurfhügel ist. Doch die Drohnen-Flieger haben mittlerweile Erfahrung. Kastler hat sich das Drohnenfliegen selbst beigebracht und möchte in Zukunft auch Kollegen schulen, damit mehrere Piloten in den Einsatz gehen können. Er ist auch die treibende Kraft in dem ganzen Projekt gewesen“, sagt Liebsch mit Blick zu seinem Kollegen.
Ein Problem gibt es trotz guter Technik: Der Akku der Drohne hält gerade einmal 20 Minuten. „Letzte Woche ging mir fast der Akku aus und der Kollege hat das Reh nicht gefunden, obwohl er nur einen Schritt entfernt war“, erzählt Kastler. Er musste dann die Drohne noch einmal aufladen und ihn in Zentimeter-Schritten über den Funk zum Reh leiten. Bei der guten Tarnung der Rehe sei das kein Wunder, dass man eines mal nicht sofort entdecke. Die weißen Flecken auf dem Fell sind zum Schutz vor Feinden. Wenig später kann man sich selbst davon überzeugen: Ein Rehkitz von oben ähnelt wirklich der Oberfläche einer Wiese. Am Tag zuvor hat Kastler sogar zwei Kitze gefunden, die gerade ganz frisch gesetzt wurden, die Geburt habe er über die Kamera gesehen. „Die wären ganz sicher dem Mähwerk zum Opfer gefallen,“sagt Kastler. Die jungen Leben davor zu bewahren, ist ihre Mission.
Aber nun schnell, bevor der Akku leer geht. Liebsch hat während des Drohnenflugs schon einmal eine große graue Kiste mit Gras ausgelegt, damit dass kleine Reh sich wohler fühlt, wenn es gleich geborgen wird. Mit Kiste im Arm geht es jetzt ins hohe, feuchte Gras. Vorsichtig, Schritt für Schritt. Man weiß zwar dank der Drohne an welcher Stelle das Reh liegt, trotzdem ist jeder Schritt aufregend. An diesem Tag entdecken die Retter das kleine Kitz sofort. Doch bevor Liebsch es in die Kiste packen kann, schreckt es auf und rennt in den Wald. Etwas Ernüchterung bei allen. Wenn der Bauer jetzt mähen wollen würde, wäre das aber nicht so schlimm, solange das Reh im
Wald bleibt. „Das Kitz war schon etwa um die drei Wochen alt und konnte schnell flüchten, weil es uns Menschen gewittert hat“, erklärt Liebsch. Manchmal komme es sogar vor, dass die Geiß am Waldrand stehe und die Retter beobachte.
Auch das zweite Kitz verschwindet bei der Aktion lieber schnell in den Wald: Die beiden sind wohl pressescheu. Dennoch, die Quote bei den Rettungsaktionen liegt bei nahezu 100 Prozent, so die beiden Jäger. Nur einmal habe die Geiß das gerettete Kitz aus der Kiste im Wald befreit, damit es in die Wiese zurück kann, nur dann kam leider die Mähmaschine. 42 Kitze haben Kastler und Liebsch bereits seit April gerettet. Bis Ende Juni können es noch einige mehr werden. Doch dafür müssen die beiden entlastet werden. Organisatorisch gesehen sei die Aktion sehr aufwendig und kraftraubend. Denn Kastler und Liebsch sind ehrenamtlich Kitzretter und arbeiten nach dem Einsatz im Morgengrauen in ihren Hauptberufen. „Der Tag ist sehr lang“, sagt Liebsch.
Die beiden Jagdverbandsmitglieder schlagen eine Online-Plattform vor, um die Rettungsaktionen besser planen zu können: Bauern sollen auf einer digitalen Karte einzeichnen, welcher Bereich gemäht werden soll. So könne man zumindest die Vorlaufzeit etwas einschränken, sagt Kastler. Den beiden ist es wichtig, dass die Forderung an die Landwirte, nicht als Vorwurf rüberkomme, sondern als positives Entgegenkommen und Unterstützung. „Je früher wir Bescheid wissen, desto besser können wir einfach planen“, sagt Liebsch.
Mittlerweile ist es kurz nach sechs Uhr morgens. Die Sonne geht auf, der Nebel schwindet und es wird langsam wärmer. Die beiden Rehkitzretter packen ihre Ausrüstung zusammen. Liebsch schüttet das Gras aus dem Korb, den er vorbereitet hatte, um ein Rehkitz darin zu bergen. Dieses Mal ist das kleine Reh von selbst verschwunden. Doch für die beiden war es nicht die letzte Begegnung: Wenn der Landwirt die Wiese in wenigen Wochen mähen will, werden die Jäger das Kitz aus dem hohen Gras retten. „Es hat doch irgendwie was besonderes, so in den Morgen zu starten“, sagt Liebsch auf dem Weg zum Auto.
Kein Bauer möchte ein zerfetztes Reh in seinem Heu
Die Quote der Retter liegt bei fast 100 Prozent