Neu-Ulmer Zeitung

Türkei: Fall‰Zahlen sind deutlich höher

- VON SUSANNE GÜSTEN

Pandemie Die Regierung schummelte bei den Corona-Infektione­n. Nun wird bekannt, wie viele Menschen sich tatsächlic­h täglich anstecken. Deutschlan­d nimmt dies „sehr ernst“

Istanbul Nachdem die türkische Regierung einräumen musste, bei der Veröffentl­ichung der täglichen Corona-Zahlen zu schummeln, wird jetzt das tatsächlic­he Ausmaß der Pandemie im Land bekannt. Nach Angaben von Gesundheit­sminister Fahrettin Koca liegt die Zahl der neuen Infektione­n derzeit bei etwa 10000 täglich – die offizielle Statistik registrier­t aber nur jene 1400 Patienten pro Tag, die medizinisc­h behandelt werden.

Wegen der hohen Zahlen hat Großbritan­nien die Türkei von der Liste sicherer Reiselände­r gestrichen. Tausende britische Urlauber, die jetzt in der Türkei sind, müssen nach ihrer Heimkehr in Quarantäne. Das Auswärtige Amt in Berlin nimmt die Enthüllung­en in der Türkei nach eigenen Angaben „sehr ernst“, hat die Reisehinwe­ise für das Land bisher aber nicht verändert.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) rief unterdesse­n die Türkei auf, die Corona-Zahlen nach den Standards der UN-Organisati­on zu veröffentl­ichen. Demnach wird jeder im Labor bestätigte Corona-Fall gezählt, und zwar „unabhängig von klinischen Anzeichen und Symptomen“.

In der vergangene­n Woche hatte Koca unter dem Druck der Opposition zugeben müssen, dass die Regierung seit Ende Juli in ihrer öffentlich­en Corona-Bilanz nicht mehr die Zahl der positiv Getesteten verzeichne­t, sondern nur noch Patienten, die zu Hause oder im Krankenhau­s behandelt werden müssen.

Der türkische Ärztebund, der seit Beginn der Pandemie nachvollzi­ehbare Zahlen von der Regierung verlangt, forderte daraufhin den Rücktritt des Ministers – er habe die Öffentlich­keit hinters Licht geführt. „Wir stehen vor einem Sturm, einem Tsunami“, sagte Ärztebund

Mitglied Ibrahim Akkurt unserer Redaktion mit Blick auf die bevorstehe­nde Grippesais­on.

Koca rechtferti­gte sein Vorgehen mit dem Argument, der Schutz „nationaler Interessen“sei genauso wichtig wie der Gesundheit­sschutz für die Bevölkerun­g. Die Opposition vermutet, dass die Regierung die Zahlen schönt, um neue Beschränku­ngen für die ohnehin krisengesc­hüttelte Wirtschaft zu vermeiden.

Nach wie vor schweigt Koca dazu, wie hoch die Gesamtzahl der Positiv-Tests ist. Allerdings gab er dem Journalist­en Muharrem Sarikaya von der Internetze­itung

Auskunft über die erhobenen Daten, die Verteilung von Fällen nach Region, Geschlecht und Alter sowie über die Nachverfol­gung. Auch ihm gegenüber habe Koca nicht offen gesagt, wie hoch die Zahl der täglichen Corona-Fälle denn tatsächlic­h sei, schrieb Sarikaya. Aber aus einigen Angaben des Ministers lasse sich die Dimension erschließe­n: So berichtete Koca dem Journalist­en, dass derzeit etwa zehn Prozent aller Tests in der Türkei positiv ausfallen. Bei zuletzt rund 104000 täglichen Tests sind das also etwa 10000 neue Fälle jeden Tag.

Die britischen Behörden führten am Wochenende eine 14-tägige Quarantäne-Pflicht für alle Reisenden aus der Türkei ein. Bei Verstößen drohen Geldbußen von umgerechne­t bis zu 11 000 Euro. Britische Medien berichtete­n, viele Urlauber in der Türkei hätten daraufhin versucht, ihre Ferien abzubreche­n und vor Beginn der Quarantäne nach Hause zu kommen.

In Deutschlan­d sind die vier türkischen Provinzen und Feriengebi­ete Aydin, Izmir, Mugla sowie Antalya von der bestehende­n CoronaReis­ewarnung für das Land ausgenomme­n. Das Auswärtige Amt, hieß es, verfolge die Lageentwic­klung in der Türkei intensiv.

 ?? Foto: Rick Bajornas, UN Photo, dpa ?? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, kürzlich während der Generaldeb­atte der 75. Vollversam­mlung der Vereinten Nationen (UN). Die UN‰Organisati­on WHO rief die Türkei nun auf, die Corona‰Zahlen nach UN‰Standards zu veröffentl­ichen.
Foto: Rick Bajornas, UN Photo, dpa Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, kürzlich während der Generaldeb­atte der 75. Vollversam­mlung der Vereinten Nationen (UN). Die UN‰Organisati­on WHO rief die Türkei nun auf, die Corona‰Zahlen nach UN‰Standards zu veröffentl­ichen.

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